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Im süßen Sog des Sieges

■ Zehnkämpfer Thorsten Dauth wurde hinter Olympiasieger Christian Schenk Deutscher Vizemeister und träumt bereits von der Weltmeisterschaft

München (taz) — „Geht doch mal zu dem ersten, Schenk heißt der“, wehrte sich Zehnkämpfer Thorsten Dauth vergebens gegen das nicht enden wollende Fotogewitter. Doch immerhin war der 23jährige Sportstudent selber schuld, hatte er doch soeben in München beim sechsten Zehnnkampf seiner Karriere seine Bestleistung zum sechstenmal verbessert — auf 8.108 Punkte.

„So einen Menschen habe ich noch nie erlebt“, schwärmte Bundestrainer Claus Marek über den „Glücksfall für den deutschen Zehnkampf“. „Andere brauchen für eine 1.000-Punkte-Steigerung Jahre.“ Vor Knapp zwei Jahren stand Dauth noch beim hessischen Landesligisten TSV Klein-Karben im Fußballtor. Sein Trainer Lothar Emmerich ließ den Langen ungern ziehen, hatte Dauth 1988 nach einem Probetraining beim 1. FC Köln doch gute Referenzen von Christoph Daum mitgebracht.

Doch Zehnkampf sollte es sein. So ärgerte er bei frostiger Witterung in München seinen Freund, den Olympiasieger Christian Schenk, mit hervorragenden Leistungen, wo er nur konnte, so daß dieser eine Jahresweltbestleistung von 8.301 Punkten vollbringen mußte. Erst beim Stabhochsprung war Schluß für Dauth: „Mehr als 4,30 schaffe ich vorläufig nicht.“ Auf den Sprintdistanzen übertraf er jedoch den ehemaligen Rostocker und Neu-Mainzer deutlich. 10,58 Sekunden über 100 Meter, 14,33 über die 110-Meter-Hürden und 48,48 Sekunden über 400 flache Meter sind für den 26jährigen Schenk unerreichbar, der bei der Weltmeisterschaft Ende August in Tokio mit einer Medaille liebäugelt.

Angesichts des Riesentalents Dauth ließ sich Ex-Weltrekordler und Rekord-Fehlstarter Jürgen Hingsen zu mahnenden Worten hinreißen: Er empfielt ihm einen behutsamen Aufbau über mehrere Jahre: „Er hat alle Voraussetzungen für einen ganz Großen. Nur nicht mit der Brechstange versuchen! Für 8.700 Punkte braucht er noch vier Jahre.“ Die 600-Punkte-Differenz kann Dauth im Sprung und Wurf gutmachen, wo er seine miserable Technik noch erheblich verbessern kann.

Angesichts dieser Aussichten locken bereits die großen Werksvereine mit ansehnlichen Sümmchen. Doch Dauth bleibt daheim: „Ich bleibe dort, wo ich mich wohl fühle. Geld interessiert mich nicht.“ Was reizt, ist die WM — München hat ihn selbstbewußt gemacht. Und so schielt er, da Michael Kohnle beim Weitsprung dreimal übertrat und ausschied, Frank Müller und Weltmeister Thorsten Voß verletzt sind, gen Tokio: „Die anderen müssen erst einmal mehr machen. Zurückstecken werde ich auf keinen Fall.“

Die nächste und vielleicht entscheidende Station auf dem Weg nach Japan ist bereits in drei Wochen: im österreichischen Götzis, dem Wimbledon der Zehnkämpfer. Karl-Wilhelm Götte

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