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Äthiopien vor Machtwechsel

■ Während in London Gespräche zur Beendigung des Bürgerkrieges begannen, hat Äthiopiens Militärregierung die Macht in der Hauptstadt bereits weitgehend verloren. Die siegreiche Opposition stellte den...

Äthiopien vor Machtwechsel Während in London Gespräche zur Beendigung des Bürgerkrieges begannen, hat Äthiopiens Militärregierung die Macht in der Hauptstadt bereits weitgehend verloren. Die siegreiche Opposition stellte den verbliebenen regierungstreuen Soldaten für ihre Kapitulation ein Ultimatum von 48 Stunden.

Drei Jahrzehnte lang tobte der Krieg auf dem Land. Nun hat er die Hauptstadt Addis Abeba erreicht. Am Sonntagabend wurde in der unmittelbaren Umgebung des Präsidentenpalastes zweieinhalb Stunden lang geschossen. Panzer bezogen an strategischen Punkten Stellung. Korrespondenten berichten von Leichen auf den Straßen. Doch noch ist unklar, ob es sich um Gefechte zwischen der „Revolutionären Demokratischen Front des Äthiopischen Volkes“ (EPRDF) und der Armee handelte oder um Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungsstreitkräfte. Fest steht, daß die Rebellen die Addis vollständig umzingelt haben. Von den Hügeln im Norden der Stadt, die die EPRDF bereits erreicht hat, war Artilleriefeuer zu hören. Vermutlich haben die Aufständischen auch den internationalen Flughafen sieben Kilometer östlich der Hauptstadt unter Kontrolle. Sender der Aufständischen warnten die internationalen Fluggesellschaften vor dem Anflug. Meldungen, das Hauptquartier des Generalstabs sei am Montag früh erobert worden, erwiesen sich zwar als verfrüht und wurden dementiert. Aber es besteht kaum mehr ein Zweifel, daß die Armee Äthiopiens, einst stärkste des Kontinents, faktisch geschlagen ist.

Die Vereinigten Staaten forderten die Aufständischen gestern nachmittag auf, in die Hauptstadt einzumarschieren, um dort „die Lage zu stabilisieren“. Um vier Uhr morgens hatte die EPRDF der Armee ein Ultimatum von 48 Stunden für eine endgültige Kapitulation gestellt. Bis dann wollte sie auf einen Sturm auf Addis Abeba verzichten, der — wie vor vier Monaten beim Sieg der Guerilla in der Hauptstadt Mogadischu im benachbarten Somalia — Tausende von Todesopfern unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung kosten könnte. „Wir haben es nicht eilig, die Hauptstadt einzunehmen“, meinte EPRDF-Sprecher Asefa Momo in London, „wir sind sicher, daß wir sie jederzeit erobern können.“ Er fügte hinzu: „Wenn sie unsere Bedingungen nicht akzeptieren, sind wir bereit, die Schraube anzuziehen.“

In London trafen gestern Delegationen der verschiedenen Gruppen ein, die unter Vermittlung des Afrika-Sonderbeauftragten der USA, Herman Cohen, ein Ende des Krieges in Äthiopien aushandeln sollen. Auf Ministerpräsident Tesfaye Dinka und seine Begleiter folgten Vertreter der „Oromo-Befreiungsfront“ (OLF) sowie Sprecher der Volksbereiungsfront von Eritrea (EPLF). Doch unter dem Eindruck der widersprüchlichen Meldungen aus Addis Abeba blieb gestern unklar, unter welchen Bedingungen Gespräche überhaupt möglich seien. OLF-Sprecher in London meinten am Vormittag, die Reste der Regierungsarmee in der Hauptstadt würden noch am selben Tag kapitulieren und somit würden die äthiopischen Regierungsvertreter an den Verhandlungen überhaupt nicht mehr teilnehmen können. Zu dem „Runden Tisch“ zwischen allen Verhandlungsteilnehmern kam es gestern nicht. Herman Cohen empfing die einzelnen Delegationen lediglich zu getrennten Beratungen.

Falls es in den nächsten Tagen doch zu einem „Runden Tisch“ unter Einschluß der äthiopischen Regierung kommt, ist dabei mit einer Machtübergabe an die drei verbündeten Oppositionsgruppen zu rechnen. EPRDF, EPLF und OLF wollen eine gemeinsame Übergangsregierung bilden, um Modalitäten für freie Wahlen und die geordnete Sezession einzelner Landesteile auszuarbeiten.

Ein andere Wahl als die Machtübergabe an die militärisch siegreiche Opposition hat die Regierung wohl kaum mehr. Desertierende Soldaten flüchten zuhauf in die Hauptstadt. Am Sonntag setzten sich über 3.000 Marinesoldaten mit zwölf Schiffen über das Rote Meer nach Jemen ab. Das Regime verlor damit die gesamte Marine. Aber auch die Luftwaffe ist nicht mehr einsatzfähig, nachdem die Rebellen den größten Luftstützpunkt des Landes bei Debre Zevit, 45 Kilometer östlich von Addis Abeba, besetzt haben und sich 14 äthiopische Militärmaschinen nach Dschibuti abgesetzt haben.

40 Deutsche wurden in der Nacht zum Montag aus Äthiopien ausgeflogen. Eine von der Bundesregierung gecharterte Lufthansa-Maschine landete am frühen Morgen in Frankfurt. Wie das Auswärtige Amt in Bonn erklärte, haben sich weitere 140 Bundesbürger aus unterschiedlichen Gründen entschlossen, trotz der anhaltenden Kämpfe zwischen Rebellentruppen und Regierungssoldaten vorerst in Äthiopien zu bleiben. Nach Angaben der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die als gemeinnütziges bundeseigenes Unternehmen die Entwicklungspolitik der Bundesregierung unterstützt, waren unter den 40 Deutschen mehrere Entwicklungshelfer, die durch die unsichere Lage ihre Arbeit in Äthiopien unterbrechen mußten. Mindestens vier Mitarbeiter seien jedoch in dem nordostafrikanischen Land geblieben, um in den Flüchtlingslagern die von einer Hungersnot bedrohten Menschen zu betreuen. Wie die GTZ weiter berichtete, ist es für die Entwicklungshelfer trotz der Schließung des Flughafens von Addis Abeba möglich, im Notfall nach Deutschland auszufliegen. Mit den Rebellen habe es ein von den USA koordiniertes „Gentlemen Agreement“ gegeben, wonach Vertretern solcher Hilfsorganisationen die Ausreise gestattet werde, hieß es. Das Auswärtige Amt erklärte, es seien vorerst keine weiteren Evakuierungsaktionen geplant. Auch die deutsche Botschaft könne weiterhin in vollem Umfang arbeiten. D.J./thos

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