„Wir sind bereit für den Tag des Ruhms“

■ Beim Europacup-Finale der Landesmeister erwarten 20.000 französische Fans einen Sieg Marseilles 18.000 Jugoslawen wollen ihre „Roten Sterne“ zum ersten internationalen Pokaltriumph brüllen

Berlin (taz) — 1954 knobelten der Chefredakteur von 'L'Equipe‘, Gabriel Hanot, und der Pariser Spielemakler Julius Ukrainzcyk an einem Wettbewerb, der den Vereinsfußball in Europa aus seinen nationalen Grenzen lösen könnte. Am 15. Dezember forderte Hanot deshalb in seiner Zeitung eine „Europameisterschaft der Klubmannschaften“ und am 3. Februar 1955 veröffentlichte 'L'Equipe‘ eine Liste mit 16 renommierten Vereinen von Real Madrid bis Chelsea London, die zum ersten Wettbewerb eingeladen wurden.

Die gerade gegründete Europäische Fußballunion UEFA adoptierte die Idee und setzte für 1956 den ersten „Pokal für europäische Meisterclubs“ an, aus dem der Europacup der Landesmeister hervorging. Später kamen der Cup der Pokalsieger (1961) und der Messe- bzw. UEFA- Cup (1958) hinzu, so daß heute in Bari das 100. europäische Pokal- Endspiel angepfiffen werden kann.

Pünktlich zum Jubiläum könnte der Cup endlich in das Ursprungsland seiner Idee zurückkehren. Nie konnte sich ein französischer Verein die Krone des Kontinents aufsetzen, auch wenn mit Stade Reims (1956 3:4 und 1959 0:2 gegen Real Madrid) und mit AS St.Etienne (1976 0:1 gegen Bayern München) drei Endspiel- Versuche verpaßt wurden. Der vierte Anlauf soll Olympique Marseille auf den Thron befördern.

Mit 300.000 Mark Prämie pro Spieler feuert Olympique-Präsident Bernard Tapie seine Elf an. „Es wird ein Straßenkampf“, fordert er die Kampfeslust seiner kickenden Angestellten heraus, „die Talente bleiben in der Umkleidekabine.“ Jean- Pierre Papin darf mitspielen. Der Torjäger des französischen Meisters, der mit dem nationalen Pokalsieg das einmalige „Triple“ erreichen kann, hat die historische Fußballstunde begriffen: „Wir sind bereit für den Tag des Ruhms.“ Auch für den Tag des Transfers? Denn Papin soll auf der Wunschliste des AC Mailand und des SSC Neapel stehen.

20.000 Fans starten zu einer wahren Sternfahrt und erwarten eine wahre Sternstunde. Allein aus Marseille düsen 56 Flugzeuge ab, aus anderen Städten weitere 150. Ganz Frankreich ist an diesem Tag vereint, an eine Niederlage denkt keiner: Weil Londons Buchmacher Marseille favorisieren, weil Olympique noch kein Spiel im aktuellen Europacup verlor — und weil Franz Beckenbauer dabei ist.

Im Fußballalltag ist dessen Bedeutung recht gering. Da regiert Chefcoach Raymond Goethals. Aber im Austüfteln taktischer Finessen, in der sezierenden Beobachtung der Gegner und schließlich in der Präsentation des Vereins vor Funktionären, Journalisten — und Schiedsrichtern, da ist kein Thronfolger des „Kaisers“ in Sicht. Vor seinem 14. Endspiel als Spieler oder Trainer wurde der „Glücksbringer“ (Tapie) auch in der französischen Öffentlichkeit rehabilitiert. 'L'Equipe‘ widmete dem sonst von der Presse arg vernachlässigten eine Titelstory.

Auch der Endspiel-Konkurrent Roter Stern Belgrad beschritt seinen Weg ins Finale ohne Niederlage. Und das entscheidende Eigentor des Bayern Augenthaler im Halbfinale wird in Jugoslawien nur als Gerechtigkeit des Schicksals abgehakt. Die „Roten Sterne“ sollen den zweiten Europacup nach Dinamo Zagreb (UEFA-Pokal 1967) ins Balkanland holen. Das ist ihre Mission, dafür bekämen die Spieler 70.000 Mark, dafür kommen 18.000 Fans per Schiff, Flugzeug und Auto nach Bari.

„Jeder Fehler wird sofort bestraft“, kündigt Belgrads Technischer Direktor Dragan Djaijc an. Und das den Franzosen in mindestens 90 Minuten Fehler unterlaufen — davon ist er natürlich absolut überzeugt. bossi