: Katzengold im Gebiß
Goldzähne aus einer Palladium-Basis-Legierung machen dem Träger das Leben schwer/ Die Interessengemeinschaft der Zahnmetallgeschädigten im hessischen Hüttenberg versucht nachzuweisen, daß die Beschwerden vom Zahnersatz herrühren ■ Von Uschi Müller
Noch am gleichen Tag begannen die Schmerzen nachdem Loni Weber zwei vermeindliche Goldkronen und eine Brücke implantiert bekam: Herzrhythmusstörungen, Sehstörungen, Muskellähmungen und unzählbar andere Symptome. Mit Hilfe des Bremer Umweltinstituts und einem toxikologischen Institut in München erfuhr sie dann, daß eine Palladium-Allergie die Ursache ihrer Beschwerden war. Hervorgerufen durch die neuen „Goldzähne“, die sich aus einer Palladium-Basis-Legierung zusammensetzen.
„Legierung“ heißt der Stoff aus dem Kronen, Brücken oder Inlays gefertigt werden. Nur selten besteht er aus hochprozentigem Gold. Mit der Gesundheitsreform kommen nämlich verstärkt „Sparlegierungen“ zum Einsatz.
Vor allem Gemische auf Palladium-Basis sind besonders stark verbreitet. Sie sind halb so teuer wie Goldlegierungen und lassen sich ebenso gut verarbeiten. Palladium- Basis-Legierungen enthalten nur noch in geringen Mengen Gold, stattdessen neben Palladium höhere Anteile Nickel, Kupfer, Kobalt, Gallium und Silber. Für Patienten hat dieses Spargold nicht nur positive Folgen. Beschwerden nach Zahnersatzbehandlungen häufen sich. Die wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, belegen allesamt, daß was faul ist mit dem Zahngold.
700 Legierungen mit komplizierter Rezeptur
Im vergangenen Oktober gründete Loni Weber im hessischen Hüttenberg bei Gießen die Interessengemeinschaft der Zahnmetallgeschädigten (IGZ). Inzwischen gehören der IGZ 500 Geschädigte an. Alle mit einem ähnlichen Krankheitsbild und unwissend, welche Metalle ihre Lücken füllen. Sie fordern sorgfältigere Materialprüfungen. Die Zahnärzte sollten den Patienten über die Beschaffenheit des neuen Zahnersatzes und über die Allergieproblematik informieren.
Außerdem sollten sie sich von vornherein, mit den Werkstoffen für den Zahnersatz vertraut machen. Beim juristischen Streit um Schadensersatz wollen sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen. Der Prozeß, den Loni Weber zur Zeit gegen ihren Zahnarzt und die Krankenkasse führt, scheint ihre Zweifel und ihre Hartnäckigkeit zu bestätigen. Bekommt sie Recht, ist der Weg für die anderen Leidensgenossen leichter zu beschreiten.
Wenn man die gesetzlichen Richtlinien für Legierungen betrachtet, verwundert die Zahl der Beschwerdegänger nicht. Anders als zum Beispiel Amalgame werden Legierungen vom Gesetzgeber als Werkstoffe betrachtet, die erst im Mund eingepflanzt, als Arzneimittel eingeordnet werden. Im Klartext heißt das: Erst im Mund beginnt der klinische Verträglichkeitstest. So kommt es, daß keinerlei Studien über die Verträglichkeit der Zahnmetalle existieren und die Betroffenen nur schwer nachweisen können, daß ihre Beschwerden tatsächlich vom Zahnersatz herrühren.
Derzeit darf alles, was sich schmelzen, schleifen und zu Brücken und Kronen verarbeiten läßt, vermarktet werden. Verbindliche Mindestanforderungen an Beschaffenheit und Qualität gibt es ebenso wenig wie die Verträglichkeitsuntersuchungen. Zwar können sich Zahnärzte seit 1987 im Dental-Vademecum, einer Auflistung über die verschiedenen Produkte und ihre Eigenschaften informieren, aber jede der insgesamt 700 dort aufgeführten Legierungen hat eine komplizierte Rezeptur, die die Hersteller nur bis zu einer bestimmten Stelle hinter dem Komma zu verraten brauchen. Außerdem gehören die Geheimnisse der Werkstoffkunde selten zu dem vertieften Wissen der Zahnmediziner.
Ob allerdings eine Legierung den Organismus schädigt, liegt weniger an den Einzelkomponenten. Eine gute Legierung zeichnet sich vielmehr dadurch aus, daß die Metallionen so fest miteinander verbunden sind, daß ihnen die chemischen Stoffe im Speichel nichts anhaben können. Zum Beispiel Nickel wäre so fest mit den anderen Bestandteilen verbunden, daß sich keine Nickelionen im Körper verteilen können. Eine schlechte Legierung wird durch den Speichel aber derart angegriffen, daß sich die Ionen im Körper verteilen. So eine Korrosion hätte bei Nickelallergikern lästige Hautreaktionen zur Folge. Daß die komplizierten chemischen Prozesse, die in jedem Mund anders ablaufen, für die Korrosion verantwortlich sind, macht die Sache so schwierig, daß die Wissenschaftler scheinbar abgeschreckt sind, diese Mechanismen zu studieren. Denn um die Verträglichkeit abzuschätzen, gibt es nur wenige Untersuchungen.
„Gute“ und „schlechte“ Legierungen
Aus Tierversuchen an der medizinischen Zahnklinik in Marburg wurde immerhin bekannt, daß „Palladium- Kupfer-Silber-Legierung zu akuten Entzündungsreaktionen“ führten. An der Zahn- und Kieferklinik der Universität Köln zeigten nickelhaltige Legierungen bereits im Reagenzglas eine hohe Ionenlöslichkeit, die sich auch im Speichel überprüfen ließ und im Hauttest allergene Wirkungen verursachten.
Die allergene Potenz von Palladium-Legierungen wurde vor kurzem an der Aachener Klinik für zahnärztliche Prothetik getestet. Die Versuchsreihen ergaben, daß Patienten mit Nickelallergie zumindest im Hauttest empfindlich auf Palladiumreagieren. Die Wissenschaftler plädieren dafür, daß Legierungen mit solchen Wirkungen vom Markt genommen und die Erkenntnisse in die Prüfung von Dental-Legierungen eingehen sollten.
Diese Untersuchungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil Mangels finanzieller Mittel aus dem Gros des Legierungsangebots nur ein Bruchteil von Proben überprüft werden konnten. Deshalb reichen die Ergebnisse längst nicht aus, um „gute“ von „schlechten“ Legierungen zu unterscheiden. Verbesserte Forschungskonzepte fehlen wegen mangelnder Fördermittel, die die Werkstoffwissenschaftler und Zahnmediziner zu einer Diskussion darüber anregen könnten. Zahntechniker, die beim Schleifen und Formen metallhaltigen Staub einatmen, fordern das massiv, denn sie wüßten gern, welche gesundheitlichen Folgen sie zu erwarten haben.
Solange die bestehenden Ergebnisse ohne Einfluß auf die Zulassung von Legierungen bleiben, weil Legierungen weiterhin als Werkstoffe und Gegenstände betrachtet werden, dienen Kassenpatienten weiterhin als Versuchskaninchen zur klinischen Erprobung von Brücken, Kronen oder Inlays. Daran wird sich vermutlich erst etwas ändern, wenn die Betroffenen erfolgreich Schadensersatz erklagt haben oder diese Form der klinischen Erprobung nachweislich zum Exitus geführt hat und den Handlungsbedarf der Gesetzgeber fordert.
Einzigen Schutz bietet derweil die persönliche Neugierde: Die Patienten lassen sich auf etwaige Allergien überprüfen, informieren Zahnärzte darüber und diskutieren ausgiebig über die Zusammensetzung des künftigen Zahnersatzes. Es sei denn, die finanzielle Lage erlaubt einen hochprozentig-goldenen Zahnersatz. Das ist derzeit die beste Alternative, vorausgesetzt natürlich, daß keine Goldallergie das Leben erschwert.
Für Betroffene und Interessenten: IGZ, Loni Weber, Postfach 1201, Hüttenberg-Rechtenbach
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