: Die Hilfe erreichte die Armen nicht
Rechnungshof rügt die Verwendung der EG-Hilfe für Bangladesch/ Das Regime Erschads erhielt sieben Milliarden Dollar Hilfe ■ Von S. Mourtuza/D. Reinhardt
Berlin (taz) — Angesichts der jüngsten Flutkatastrophe in Bangladesch werden erneut Schuldzuweisungen für das Versagen des Katastrophenschutzes erhoben. Und fast täglich kommen Meldungen von neuen Stürmen und Warnungen von neuen Überschwemmungen. In diesem Zusammenhang wird dann auch der von Henry Kissinger vorgenommene Vergleich Bangladeschs mit einem „Faß ohne Boden“ regelmäßig zitiert. „Wo sind die seit der Unabhängigkeit Bangladeschs gewährten 20 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe geblieben?“ ist die Frage.
Die entwicklungspolitischen Zielsetzungen, so urteilt der EG- Rechnungshof in einer im Januar veröffentlichten Studie, seien „weitgehend verfehlt“ worden. Die rund eine Milliarde DM, die in den letzten zwölf Jahren an EG-Hilfe nach Bangladesch geflossen sind, seien vor allem der korrupten Oberschicht zugute gekommen. Obwohl das Land 62 Prozent der gesamten Nahrungsmittelhilfe der EG erhält und es der Selbstversorgung mit Reis „wahrscheinlich näher ist, als die Regierung behauptet“, hungere die Mehrheit der Bevölkerung, stellt der Bericht fest. Mittel des Entwicklungsfonds für die einheimische Teeproduktion beispielsweise würden hauptsächlich von ausländischen Privatunternehmern zur Modernisierung ihrer Betriebe benutzt. Die Arbeitsbedingungen der Plantagenarbeiter blieben unverändert schlecht.
Etwa ein Fünftel der Entwicklungshilfe, die Bangladesch insgesamt vom Ausland erhält, besteht aus Nahrungsmittelhilfe. Verteilt wird sie fast ausschließlich über das staatliche Rationierungssystem. Die Regierung verkauft diese Lebensmittel, in der Regel Weizen, zu Preisen, die unter den Marktpreisen liegen. Auf diese Weise werden 15 Prozent der Staatseinnahmen bestritten. Über 80 Prozent werden an Angehörige der Armee, der Polizei, der staatlichen Verwaltung und an Angestellte von großen Industriebetrieben und die mittelständische Stadtbevölkerung der sechs größten Städte verkauft. An dieser Verteilung der im Namen der Armut angeforderten und gewährten Nahrungsmittelhilfe hat sich seit der vor einigen Jahren veröffentlichten Studie der FAO, die belegt, daß nur „zehn Prozent der Lebensmittel die sehr Armen erreichten“, nichts geändert.
Neben der Nahrungsmittelhilfe bilden gigantische Groß- und Prestigeprojekte einen zweiten Schwerpunkt der Hilfe. Ein Beispiel: Die Ashunganj Düngemittelfabrik gilt als eine der größten ihrer Art auf der Welt. Bei Auslastung ihrer Kapazität produziert sie mehr, als der heimische Markt aufnehmen könnte. Bei vielen Experten gilt sie als Fehlinvestition. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes oder des Telefonnetzes erfolgt mit Hilfe alter abgestoßener Technologie oder aber mit hypermoderner Technologie aus verschiedenen Ländern. Fehlende Koordination und Abstimmung der gelieferten Hilfsgüter hat zur Folge, daß ein Teil dieser Güter nicht eingesetzt oder installiert werden kann.
Der kostspielige Bau von auf Dämmen gelegenen Straßen verursacht sowohl Überschwemmungen als auch Trockenheit. Das regelmäßig die Reisfelder überflutende Wasser kann teilweise die Felder nicht mehr erreichen oder — oder es konzentriert sich so, daß es zu Überflutungen kommt. Bei Sturmkatastrophen sind an diesen Dämmen gelegene Dörfer besonders gefährdet.
General Erschad, der als „Marcos“ Bangladeschs bezeichnet im Dezember 1990 nach neunjähriger Herrschaft gestürzt wurde, und viele seiner Minister und Ratgeber werden sich — sofern sie nicht untergetaucht sind — in Kürze wegen Korruption und illegalem Waffenbesitz vor Gericht verantworten müssen. Müßten nicht auch diejenigen, die ihm ermöglicht haben, neun Jahre das Land zu regieren, vor Gericht erscheinen, so fragen sich viele Oppositionelle. Unter Erschad erhöhten sich die Ausgaben für den Armeehaushalt auf 30 Prozent des Staatsbudgets, für das Militär wurde dreimal soviel ausgegeben wie für das staatliche Gesundheitswesen.
Die Geberländer haben diese Entwicklung ermöglicht. Erfolgreiche Initiativen von Nichtregierungsorganisationen (NROs) — fanden aber so gut wie keine Unterstützung. Sie erhielten nur fünf Prozent der gesamten internationalen Hilfe. Der offizielle Entwicklungshilfeapparat versucht nun, diese Organisationen einzubeziehen in die Verteilung von Hilfsgütern und der Durchführung von Programmen. So sind die etwa 250 offiziell registrierten Organisationen teilweise bereits ein Teil der bürokratischen und politischen Struktur des Landes geworden.
Doch heute verbinden sich die Hoffnungen auf eine politische und soziale Mobilisierung der verarmten Bauernbevölkerung dennoch mit diesen Gruppen. Sie benötigen jedoch Unterstützung von außen.
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