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DEBATTEMarktwirtschaft durch Plan?

■ Die Transformation der realsozialistischen Systeme in Marktwirtschaften

Wir brauchen einen Plan zur Einführung der Marktwirtschaft.“ In diesem Satz einer Brigadearbeiterin einer LPG spiegelt sich der „Primat des Politischen“. Über vierzig Jahre eingeübt und so selbstverständlich geworden, daß gesellschaftliche Entwicklungen, hinter denen keine planende Institution steht, nicht mehr vorstellbar sind. Aber der Satz ist nicht nur Symptom. Irgendwie hat die Brigadearbeiterin recht.

Eines der Hauptprobleme in Ungarn, Polen, der CSFR, der Ex-DDR undsoweiter ist ja, daß Akteure, die eine „staatsfreie“ Ökonomie tragen können, selbst erst staatlich geschaffen werden müssen. Es läßt sich ja schon bestreiten, daß Marktwirtschaft als „spontane Ordnung“ (von Hayek) funktioniert. Ganz und gar unmöglich ist es jedenfalls, daß Marktwirtschaft „spontan“ entsteht.

Transformations- management hin zum Markt

Diejenigen, die diesen Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft verantwortlich gestalten, könnten wir als politische Transformationsmanager bezeichnen. Ein großes Problem für sie besteht darin, daß ihre Arbeit von Millionen Menschen beobachtet wird, die drängende ökonomische Erwartungen hegen und die — erstmals — in der Lage sind, Entäuschungen politisch folgerichtig zu artikulieren. Sie können Transformationsmanagement abwählen. Folglich gerät es in Zeitprobleme. Die Einsicht, daß es im eigenen Interesse sein kann, die Verfolgung der eigenen Interessen eine Zeit lang aufzuschieben, um die ökonomischen und politischen Transformationsprozesse zu erleichtern. Aber dadurch wird der Erwartungsdruck noch gesteigert.

Das politische Transformationsmanagement muß mit dem ihm gewährten Vertrauensvorschuß und mit der Bereitschaft der Leute zu warten haushalten. Das heißt vor allem: Es muß die Zeit nützen, um die Versorgungslage für möglichst viele zu verbessern. In dieser Situation hängt viel davon ab, daß es rasch gelingt, jene ökonomischen Akteure zu schaffen oder ins Land zu ziehen, die eine selbständige, nicht staatliche Ökonomie tragen.

Strategisches Abwarten und Investitionsblockade

Dies ist allgemein bekannt, also werden Investitionen gefördert, und stärker gefördert, und noch stärker gefördert. Einwände, die dagegen unter dem Gesichtspunkt von Gerechtigkeit erhoben werden, sind nicht wichtig. Denn sie gehen an den praktischen Kalkülen vorbei. Besser eine ungerechtere Verteilungssituation auf höherem Niveau als eine gerechte Verteilung von Mangel. Der viel ernstere Einwand gegen Investitionsförderungen lautet jedoch: Es ist keineswegs sicher, daß sie ihr Ziel erreichen.

Der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 1990/91: „Die abwartende Haltung vieler Investoren beruhte nicht zuletzt auch auf der Hoffnung auf weitere staatliche Investitionsanreize, denn es hatte sich gezeigt, daß die Investitionsförderprogramme mit den wachsenden Problemen immer stärker ausgeweitet wurden.“ Die Fähigkeit, mit wirtschaftlichem Engagement in der Ex- DDR strategisch zu warten, ist zwischen Investoren und Arbeitskräften höchst unterschiedlich verteilt. Die Investoren können die zusätzliche Güternachfrage ohne unübersteigbare Schwierigkeiten eine Zeit lang auch von der alten Bundesrepublik aus bedienen. Aber nur eine kleine Minderheit der Arbeitskräfte kann vom stillgelegten DDR-Arbeitsmarkt auf Arbeitsmöglichkeiten in den alten Bundesländern „einstweilen“ ausweichen. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitskräfte ist darauf angewiesen, an Ort und Stelle und rasch Arbeit zu finden.

Aus diesen Unterschieden in der Fähigkeit, strategisch zu warten, entsteht ein Teufelskreis. Die Angewiesenheit der Anbieter von Arbeitskraft auf Arbeitsplätze artikuliert sich politisch und wird damit zu einem Problem des Staates. Genau darauf reagiert er mit Investitionsanreizen für die Arbeitskraftnachfrage, worauf diese, in Erwartung weiterer Anreize, mit weiterem Warten reagieren. Der Sachverständigenrat nennt es „Investitionsattentismus“. Dazu ist jeder einzelne Investor um so eher in der Lage, als er, wenn der Prozeß des strategischen Wartens erst einmal eingesetzt hat, damit rechnen kann, daß alle warten.

Es wäre ganz verkehrt, dies „Investitionsstreik“ zu nennen. Denn das Warten erweist sich ja als unmittelbar individuell rational und bedarf daher keiner kollektiven Verabredung. Wenn ein Investor damit rechnen muß, daß die staatlichen Investitionshilfen in Zukunft noch zunehmen, so geht er ein unnötiges Risiko ein, wenn er gleich investiert. Denn wer gleich investiert, läuft Gefahr, in wenigen Monaten von einem Konkurrenten überholt zu werden, der später weit bessere Startbedingungen hatte. Da jeder einzelne Investor so kalkulieren muß, geraten alle in eine kollektive Investitionsblockade.

Die Transformationsmanager, die unter Zeitdruck stehen, müssen dies als Fortdauer des politischen Problems, daß es zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, wahrnehmen. Sie reagieren darauf mit „mehr vom Gleichen“. „Die politische Diskussion um weitere Investitionsanreize dauert noch immer an“, klagt der Sachverständigenrat. Durch solche Maßnahmen in der Absicht, den Übergangsprozeß zu verkürzen, wird er verlängert. Dagegen hilft nur andere Politik. Das läßt nur einen Schluß zu: Die staatlichen Investitionsförderungen sollten am Anfang hoch sein und mit der Zeit abnehmen. Unerbittlich. Aber die Entwicklung steht heute nicht an ihrem Anfang. Den Teufelskreis, in dem sich unternehmerischer „Investitionsattentismus“ und staatliche Investitionsförderungen aufschaukeln, gibt es ja längst.

Ein Plan zur Einführung der Marktwirtschaft

Also bleibt den politischen Transformationsmanagern gegenwärtig gar nichts anderes übrig, als die Investitionsförderungen noch einmal spürbar zu erhöhen — und sich zugleich auf einen Plan festzulegen, der den schrittweisen Abbau der Förderungen in überschaubarer Zukunft vorsieht. Dabei sollte die Festlegung möglichst so erfolgen, daß für alle Beteiligten sichtbar wird, daß die Politik aus ihrem Abbauplan gar nicht mehr aussteigen kann; daß es also hoffnungslos ist, noch höhere Investitionsförderungen zu erwarten. Das ist das Kernstück eines „Plans zur Einführung der Marktwirtschaft“: Politisch stimulierte Umkehrung der Erwartungen der ökonomischen Akteure und Selbstbindung der Politik.

Zugleich muß angekündigt werden, daß die finanziellen Mittel, die im Zuge der Durchführung des Abbauplans frei werden, unmittelbar zur Existenzsicherung der Arbeitslosen verwendet werden. Dieser Plan stärkt die Fähigkeit der Anbieter von Arbeitskraft, vorübergehend auf einen Arbeitsplatz zu verzichten. Der Plan hat mehrere Vorteile.

Erstens dreht er für die Investoren die Situation um: Er schafft der unternehmerischen Sorge, zu spät zu kommen, eine realistische Grundlage. Damit hilft er den Investoren aus ihrer kollektiven Blockade und setzt Investitionsdynamiken frei.

Zweitens schützt er gegen den Vorwurf, da man bereit ist, unzumutbare soziale Härten in Kauf zu nehmen.

Drittens läßt er sich mit Qualifikationsmaßnahmen für die Arbeitskräfte verbinden.

Viertens stärkt er die Bereitschaft, dem poltischen Transformationsmanagement einen Zeitkredit einzuräumen; also mit der Verfolgung der eigenen Interessen eine Zeit lang zu warten. Denn warten muß man sich „leisten“ können.

Fünftens entlastet er die politischen Transformationsmanager vom Problemdruck der Beschäftigungssicherung, der sie in den Teufelskreis von „Investitionsattentismus“ und Investitionsförderungen hineingezogen hat.

Und sechstens: Wäre dies nicht ein erwünschter Zusatzeffekt? Den alten Seilschaften in den Kombinaten, die sich zu marktwirtschaftlichen Managern gewendet haben, wird die Operationsbasis entzogen. Der Vorschlag von Frau Breuel, Management-„buy-outs“ zu fördern, ist dagegen anstößig, solange die folgende Möglichkeit nicht zunichte gemacht werden kann. Nämlich, daß im Namen der Marktwirtschaft Leute Betriebe übernehmen, mit Geld, das sie in Planwirtschaftszeiten beiseite geschafft haben. Georg Vobruba

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