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Aggression und Ignoranz gegenüber den Fremden

Angriffe auf Ausländer werden von Regierung und Bevölkerung in Thüringen kaum zur Kenntnis genommen/ Installierung eines Ausländerbeauftragten verschleppt sich/ Rechte Schlägertrupps auch für Grüne/Bündnis 90 kein spezielles Problem  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — „Fidschis“ und „Kohlen“ hätten die deutschen Bürgerinnen und Bürger der alten DDR ihre schwarzafrikanischen und asiatischen Gäste genannt, die wegen der „staatlich verordneten Völkerfreundschaft“ aus Mosambik, Simbabwe oder Vietnam kamen und in der eingemauerten Republik lebten und arbeiteten. Und deshalb seien die heute nach Thüringen verschickten Flüchtlinge für die „Eingeborenen“ der neuen Bundesländer der geeinten Bundesrepublik Deutschland noch immer die „Fidschis“ und die „Kohlen“.

„Das wird noch eine ganze Weile so bleiben.“ Für die Landtagsabgeordneten Olaf Möller und Gerhard Wien von der Fraktion Neues Forum/Grüne/Demokratie Jetzt ist das jedoch noch kein Indiz dafür, daß die Bevölkerung in Thüringen oder in den anderen neuen Bundesländern generell ausländerfeindlich eingestellt sei. Davon, daß am vorhergegangenen Wochenende rechtsradikale Skinheads in Kelbra bei Sondershausen mit Baseballschlägern, Messern und Schreckschußpistolen auf Urlauber losgegangen sind, hatten die beiden Landtagsabgeordneten am Dienstag darauf noch nichts gehört. Und daß immer mehr Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die auf die neuen Bundesländer verteilt wurden, nach Angriffen von rechtsradikalen Schlägerbanden in die alten Bundesländer zurückflüchten, ist für Möller und Wied zwar ein „ernst zu nehmendes Problem“ — aber auch „kein Beleg für die von den Westmedien herbeigeschriebene latente Ausländerfeindlichkeit im Osten“ (Wied).

So sei in der Landeshauptstadt Erfurt bislang kein einziger Fall von Ausländerfeindlichkeit bekanntgeworden. Nach wie vor würden die Vietnamesen an den Straßenecken unbehelligt Zigaretten verkaufen und die Jugoslawen Hütchenspiele organisieren, obwohl beides offiziell verboten sei. Und auch in den in Thüringen in den Landkreisen eingerichteten Heimen für Flüchtlinge und in der Zentralen Aufnahmestelle in Thambach-Dietharz sei es noch zu keinerlei Übergriffen gekommen. In einem Fall, so Wied, hätten Flüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien eine Schlägerei provoziert, um danach in den Westen „abhauen“ zu können: „Die wollten in diesem abgelegenen Dorf nicht bleiben, weil, da hätten sie ja auch gleich zu Hause bleiben können.“

Allerdings, räumten die beiden Landespolitiker ein, würden die Medien in Thüringen über Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Ausländern nur selten berichten. Daß es in den neuen Bundesländern brutale Angriffe auf Ausländerinnen und Ausländer — „aber auch auf Intellektuelle und Linke“ (Möller) — gab, sei unstrittig. Doch in einer Stadt wie Jena mit ihren 106.000 Einwohnern, so Möller, wohnten „maximal 30 Rechtsradikale“, die sich offen zu ihrer Gesinnung bekennen und zur Gewaltanwendung bereit seien: „Die lungern mit Hunden die ganze Zeit vor einer Imbißbude herum. Und wenn denen einer nicht gefällt, dann schlagen sie zu.“

Der eigentliche Skandal sei die Untätigkeit der Polizei „und das fehlende Problembewußtsein bei den deutschen Bürgerinnen und Bürgern“. „Gleichgültigkeit“ gegenüber den Ausländern attestierte Möller seinen deutschen Mitbürgern — „Gleichgültigkeit, aber keine Feindlichkeit“. Der deutschnationalen „Besoffenheit“ der Wende sei längst der „Alltagskater“ gefolgt. Möller: „Und wenn von der alten DDR bewußtseinsmäßig noch etwas übriggeblieben ist, dann die Erkenntnis, daß alles, was mit Nationalsozialismus und Faschismus zusammenhängt, igittigitt ist.“

Daß das Bewußtsein in den neuen Bundesländern auch bei den Landtagspolitikern der Bürgerrechtsparteien möglicherweise hinter dem „Sein“ zurückgeblieben ist, glauben Jugendliche aus dem alternativen Kulturzentrum „Museumskeller“ in Erfurt. Die Szene wird dort fast regelmäßig von den „Faschos“ heimgesucht — und die Polizei läßt sich nicht blicken. In diversen Fällen von Angriffen rechtsradikaler Gruppen auf AusländerInnen laufen die Ermittlungen entweder gar nicht oder bestenfalls schleppend.

Mehr als hundert Flüchtlinge haben in den letzten vier Monaten in Hessen Zuflucht vor den violenten Verhältnissen im Osten gesucht. Und die Einzelfallprüfungen haben immer ergeben, daß die Angaben der Flüchtlinge zu den tätlichen Angriffen auf Einzelpersonen, Familien und ganze Flüchtlingsgruppen der Wahrheit entsprachen. Das scheint allerdings auch auf Regierungsebene in Thüringen niemand zur Kenntnis zu nehmen.

Seit der Machtübernahme im Oktober 1990 verschleppt die Regierung Duchac die im Einigungsvertrag geforderte Bestellung eines landeshoheitlichen Ausländerbeauftragten. Und in dem von der CDU/ FDP-Regierung als Entwurf von der SPD-Fraktion übernommenen Kindertagesstättengesetz strich die konservativ-liberale Allianz eine entscheidende Passage: daß nämlich die „Erziehung zu partnerschaftlichem Verhalten, unabhängig von Geschlecht, Nationalität und Herkunft“, ein Erziehungs- und Bildungsauftrag der Kindertagesstätten sein sollte. Das paßte CDU und FDP nicht ins Konzept.

So blieben die AusländerInnen im Bewußtsein der deutschen Bevölkerung auch in Thüringen das, was sie gleich nach der Wende waren: „Manövriermasse für die Gesundschrumpfung der ehemals staatlichen Betriebe“ (Möller). Die ersten, die nach der „friedlichen Revolution“ das Land verlassen mußten, waren nämlich die „Fidschis“ und die „Kohlen“.

Bis heute habe deshalb kein Bürger der Ex-DDR auch nur einen Gedanken daran verschwendet, daß die AusländerInnen vielleicht auch eine Bereicherung für die Gesellschaft in den fünf neuen Ländern sein könnten — von einer Akzeptanz als gleichberechtigte Bürger ganz zu schweigen. Möller: „Die Ausländer sind hier einfach kein Thema.“

Das gilt offenbar auch für die Bürgerrechtsparteien im Landtag.

Als das Neue Forum, die Grünen und die Bewegung Demokratie Jetzt ihre Halbjahresbilanz vorstellten, ging es um die Vergangenheitsbewältigung in Thüringen, um die Abfallgesetzgebung, um die Starkstromtrasse und um die Evaluation an den Hochschulen des Landes — aber nicht um Flüchtlinge oder um andere in Thüringen lebende AusländerInnen. Man plane ein multikulturelles Fest im Sommer, verspricht Gerhard Wien, eine „Idee“, die von der hessischen Sozialministerin Iris Blaul stamme. Und das sei doch schließlich schon einmal ein Anfang.

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