piwik no script img

Für die Fehler des Managements muß der Pförtner zahlen

Der niederländische Elektronik-Multi Philips saniert sich weltweit per Arbeitsplatzabbau/ Die Bilanz von Philips Deutschland steckt in tiefroten Zahlen  ■ Aus Hamburg Günesch Kale

Cornelis Bossers hat seine Lektion gelernt: Ein Jahr, nachdem Radikalsanierer Jan Timmer den Schönfärber Cornelis van der Klugt an der Spitze des krisengeschüttelten niederländischen Konzerns abgelöst hat, ging auch dem deutschen Philips-Chef bei der Bilanzpressekonferenz das Wort „Centurion“ leicht über die Lippen. Der römische Hauptmann steht für das Sanierungsprogramm des angeschlagenen niederländischen Elektronikkonzerns. Für die 280.000 Angestellte in aller Welt, darunter 30.200 in der Bundesrepublik, wurde Centurion zum gefürchteten Synonym für radikalen Kostenabbau.

Welt verkehrt: Der Kostenabbau kostet. Obwohl die deutsche Philips GmbH 1990 ihren Umsatz um 10 Prozent auf 8,7 Milliarden Mark steigern konnte und ein Betriebsergebnis erwirtschaftete, das mit 109 Millionen Mark gut 30 Prozent über dem Vorjahresniveau lag, mußte das Unternehmen mit 339 Millionen Miesen abschließen.

Denn 678 Millionen Mark weist die Bilanz unter dem Posten Außerordentliche Aufwendungen aus. So viel kosten die „tiefgreifenden Umstruktierungen“, wie Bossers am Dienstag nachmittag im kleinen Festsaal des Hamburger Hotels Atlantic sagte. Finanzvorstand Karl- Heinz Busacker schlüsselte die stattliche Millionenzahl ein wenig weiter auf: Das Geld wird gebraucht, um „die Computer-Aktivitäten des deutschen Tochterunternehmens zu straffen, den Bau von integrierten Schaltkreisen aufzulösen“ und für mehr generellen „efficiency-drive“.

Unter die Straffung der Computer-Aktivitäten fällt auch die Schließung des Siegener Werkes für Büro- und Informationssysteme, weil Philips in diesem Bereich nicht auf dem Weltmarkt bestehen kann. Das bedeutet für 1.700 Mitarbeiter die Kündigung. Insgesamt, so Busacker, sollen 1991 rund 3.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. 1992 werden mindestens 2.000 weitere Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Rede ist von 1.600 Entlassungen in Hamburg, 600 im Wetzlarer Autoradiowerk, 500 in Aachen, einigen hundert in Nürnberg.

Der Hamburger IG-Metall-Sekretär Dieter Richter spricht aus, was viele Philips-Mitarbeiter denken: „Mit einem aus Eindhoven gesteuerten Rasenmäher wird hier operiert, und zwar ohne die Schnitthöhe zu variieren.“ Aber in Hamburg hat keiner den Mut oder die Macht, sich mit der niederländischen Führung anzulegen. Denn Timmers Führungsphilosophie „Wer aufmuckt, der fliegt“, ist mittlerweile allseits bekannt. Vor Weihnachten erwischte es den Chefjuristen Hans Beekhuis, weil er gegen „Centurion“ war.

So gaben sich Bossers und Busacker lieber zuversichtlich, als es um die Erwartungen für 1991 ging. Getreu dem Eindhovener Motto „Der Umsatz pro Mitarbeiter wird um jeden Preis gesteigert“ rechnen Finanz- und Vorstandschef bei einem weiteren Umsatzanstieg mit einem Jahresüberschuß von 200 Millionen Mark. Langfristig schwarze Zahlen will Bossers mit dem hochauflösenden Bildschirm erwirtschaften. Er glaubt, daß er nach ein, zwei Jahren Durststrecke, hohen Verlusten also, „zehntausende und zehntausende“ Arbeitsplätze mit der Neuentwicklung dauerhaft sichern kann. Im weiteren Gesprächsverlauf verstieg er sich gar auf 100.000 Arbeitsplätze — das wären rund zehn Prozent der bundesdeutschen ArbeitnehmerInnen in der Elektronikbranche.

Fachleute sind sich hingegen über den Erfolg des technisch hochwertigen Gerätes noch gar nicht so sicher: Ob wirklich jeder Haushalt Platz hat für einen 1 Meter mal 1,80 Meter großen Bildschirm? Bisher ist das nämlich die Größe, die für den hochauflösenden Bildschirm optimal wäre. Ein in Japan hergestelltes Gerät kostet heute immer noch 24.000 Mark. Selbst wenn es Philips gelingen sollte, in zwei Jahren für 5.000 bis 9.000 Mark zu produzieren, wie Bossers glaubt, ist wohl nicht unbedingt mit Massenkäufen zu rechnen.

Dann ist da noch der Erzrivale Thompson, mit dem Philips gemeinsam am europäischen HDTV-Projekt arbeitet. Während Philips noch eifrig entwickelt, hat der französische Staatskonzern schon im Februar die Markteinführung der neuen Fernsehgeneration im Breitbildformat gefeiert. HDTV wird also kaum zu einer schnellen Lösung der Probleme führen.

Auch die Angestellten sind nicht schuld. Sie stellen oft hochwertige technische Produkte her, deren Vermarktung oft verschlafen wird. Wie damals, bei der Entwicklung des „Video 2.000“ — ein Produkt, das dem heute siegreichen VHS-System technisch haushoch überlegen war. Dank grotesker Fehleinschätzungen des Mangements ging die Marketing-Schlacht gegen den VHS-Riesen JVC jedoch verloren.

Niederländische JournalistInnen schreiben sich die Finger wund zum Thema „Führungsprobleme bei Philips“. Machtstreben und Beamtenmentalität, heißt es, seien die eigentliche Ursache der Probleme des Weltkonzerns. Da wirkt es geradezu peinlich, wenn Jan Timmer in einem Interview der Wirtschaftswoche klagt: „Im Vergleich zu unseren japanischen Konkurrenten sind die Mitarbeiter von Philips nicht ausreichend motiviert.“ Den kleinen Leuten würde auch höchste Motivation nicht mehr helfen: Arbeiterinnen, Boten und Pförtner sind es, die bei den Machtkämpfen als erste auf der Strecke bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen