: Bonn oder Berlin oder was???
■ Spitzengespräch zum Thema Regierungssitz am kommenden Dienstag/ Konzernchefs sind für Berlin
Bonn/Berlin (dpa) — Die Chancen für einen Kompromiß im Streit um den künftigen Regierungssitz sind weiter ungewiß. In der CDU/CSU- Fraktion des Bundestages appellierten die Verfechter einer Konsenslösung an SPD und FDP, ihre Haltung zu einem Kompromiß darzulegen. Andernfalls werde es eine für Bonn und Berlin einvernehmliche Lösung nicht geben, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Jürgen Rüttgers. Anlaß könne das Treffen der Spitzenvertreter der Verfassungsorgane in der kommenden Woche sein, an dem auch Bundespräsident, Kanzler und Bundestagspräsidentin teilnehmen. Rüttgers ist Mitglied einer Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion, die sich für die Verlegung des Parlaments nach Berlin und den Verbleib der Regierung in Bonn einsetzt.
Die FDP-Fraktion des Bundestages wird in einer Sondersitzung über das Thema Bonn-Berlin diskutieren. Eine Abstimmung soll es dabei nicht geben. Die Sitzung soll der Information dienen, weil viele Abgeordnete offenbar noch unentschlossen sind. Eingeladen sind auch der Berliner Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Bonns OB Hans Daniels (beide CDU).
Nach Ansicht von Diepgen würde eine Entscheidung für Bonn die wirtschaftliche und soziale „Schieflage“ in Deutschland weiter erheblich verschärfen. Der Osten würde als Folge davon leerer, die Sogkraft des Westens würde sich noch verschärfen. Nach seiner Überzeugung ist das Zusammenwachsen Deutschlands von Berlin aus besser zu bewerkstelligen als von Bonn. In einem Papier des Bundesbauministeriums werden erhebliche negative Folgen für Bonn bei einem Wechsel von Regierung und Parlament gesehen. Der Verlust von etwa 50.000 Arbeitsplätzen und 100.000 Menschen in der gesamten Region wäre „dramatisch“. Eine vollständige Kompensation für den Abzug von Kaufkraft, Steueraufkommen und Arbeitsplätzen besonders in Einzelhandel, Gastronomie und ärztlicher Versorgung sei ausgeschlossen.
Eine Umfrage der Tageszeitung 'Die Welt‘ bei 60 Unternehmen hat ergeben, daß die Chefs vieler deutscher Konzerne für Berlin votieren. So plädiere der Vorstandschef der Daimler-Benz AG, Edzard Reuter, für Berlin. Er sei überzeugt, daß Berlin Regierungssitz werden könne, „ohne die finanzielle Belastung ins Uferlose steigen zu lassen“. „Gute Gründe für Berlin“ sehe auch der Vorstandschef der Degussa AG, Gert Becker. Mit der Verlegung sollte jedoch erst Ende der 90er Jahre begonnen werden, denn „vorher gibt es anderes zu tun“. Auch AEG-Chef Ernst Georg Stöckel habe eine „klare Präferenz“ für Berlin. Eine Entscheidung für Berlin, so Stöckel, wäre in jedem Fall ein Signal für zusätzliche Investitionen in den neuen Ländern.
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