piwik no script img

Körper bewegen sich langsam

■ Yoko Ono — Filme in der »Brotfabrik«

Daß das Kino in den sechziger Jahren sich verstärkt als Spielwiese für exzentrische und künstlerische Unternehmungen darbot, hat es zu einem Großteil dem Fernsehen zu verdanken. »Der sanfte Riese«, wie Marshall McLuhan das Fernsehen einmal bezeichnet hat, zog nicht nur die Massen aus den prunkvollen Sälen in die eigenen trauten vier Wände zurück, es dünnte damit auch die Finanzdecke der Studios und Filmgesellschaften in Hollywood bis zum Bankrott aus. Viele Firmen kapitulierten, andere gaben erneut Pionieren eine Chance. Den Verlust der Aura konnten sie nicht verhindern: Das magische Auge, das in der Dunkelkammer leuchtete und Bilder ausströmte, hatte an Sehkraft eingebüßt.

Viele Filme, die in dieser Zeit enstanden, beschäftigten sich damit, die Sehschärfe des Medium Film wieder herzustellen. Kenneth Anger, Andy Warhol, aber auch Jean Rouch oder Agnes Varda beziehen die Kraft ihrer Arbeiten aus der Art und Weise, mit der sie anhand der Kamera eine eigene Sichtweise aufzubauen verstanden. Die Filme Yoko Onos sind aus dem selben Anspruch entstanden.

Schon in einem frühen Filmscript stellt sie die Kamera als eine Art Messenger in den Dienst von Publikum und Künstler:

»Omnibus Film«

(1) Gebe eine Kopie des gleichen Films an verschiedene Regiesseure.

(2) Bitte jeden von ihnen den Film neu zu montieren, ohne dabei Bilder herauszuschneiden, so daß die Veränderung am Ende nicht bemerkbar wird.

(3) Bitte das Publikum, die Bildanteile auf der Leinwand wegzuschneiden, die sie nicht mögen. Scheren bereithalten.

(4) Bitte das Publikum solange auf die Leinwand zu starren bis es schwarz wird. (aus: Six Film Scripts by Yoko Ono, Tokyo, June 1964)

Die Kamera als Bildüberträger wird gemäß der technischen Möglichkeiten ausgenutzt. In vielen Filmen benutzt sie zudem veränderte Bildgeschwindigkeiten, um Verlangsamung und Beschleunigung zu erzielen. Bei einem solchen Aufwand auf der Seite des Verfahrens tritt die Ebene des Inhalts in den Hintergrund. Das Gefilmte wird banal. Dennoch versteht es Ono, in der Wahl ihrer Motive mit Witz und Ironie die Aufmerksamkeit für das Dargebotene zu erwecken. No.4 (Bottoms) aus dem Jahre 1966 zeigt 80 Minuten lang eine Vielzahl von nackten Hintern, die sich beim Gehen langsam bewegen. Männer sind meistens sehr behaart und von linealgerader Geometrie, bei Frauen neigt sich das Profil ins Ovale. Dazu laufen als Ton aus dem Off Gespräche mit den Gefilmten, über Kunst und Handwerk, über den Sinn der Aktion, und ob es sich dabei um ein wissenschaftliches Modell oder freie Kunst handelt.

Andere Filme nutzen die Überblendungstechnik. Two Virgins, ein Film, den Ono 1968 mit John Lennon zusammen gedreht hat, zeigt minutenlang die Übereinandergelagerten Großaufnahmen der beiden. Ono bleibt meist in einer starren Pose, lächelt ab und zu ein wenig; Lennon hebt sich dagegen ab, indem er unstet den Kopf wendet und manchmal Grimassen schneidet. Man hat dennoch den Eindruck eines einzigen, dafür aber beweglichen Bildes. Es scheint, als hätte Yoko Ono damit die Forderungen der Fluxus-Kunst im Filmbereich eingelöst.

In der Tat ist Ono zum Film aus ihren Erfahrungen mit der Bewegung des Fluxus gekommen. In Filmen wie Fly (1970, 25 minutes) kommt dies noch einmal stark zum Ausdruck. Eine unbeweglich daliegende nackte Frau, mit Fliegen übersät, wird in verschiedenen Körperbereichen mit einem Makroobjektiv gefilmt. Ein Ohr, den Mund, eine Brustwarze und die Scham kann man noch genau erkennen, über weite Strecken ist der Körper dann jedoch lediglich noch eine Art Plateau, auf dem sich die Fliegen bewegen. Der Frauenkörper tritt zurück, die Fliegen rücken in den Mittelpunkt der Bilder. Ono war daran interessiert, wieviele Betrachter wohl auf die Fliege und wieviele auf den Körper achten würden.

Die Situation des Voyeurs gibt auch der radikalste ihrer Filme wieder. In dem programmatisch betitelten Rape von 1969 ging es ihr darum, zu zeigen, wie die Kamera einen zufällig gewählten Passanten über Tage verfolgt und damit in eine Situation der Bedrohung zu versetzen versteht. Dabei hatte sie vor allem die Frau als Opfer und Modell im Auge. Im Film heißt diese Eva Majlath und ihr gebrochenes Deutsch gibt dem Gezeigten eine zusätzlich fremdartige und gewaltausübende Bedeutung. Der Film kann als Statement über den Einbruch der Medien in das Privatleben angesehen werden, was Lennon und Ono am eigenen Leib über Jahre bis zum tragischen Ende erfahren haben.

Vieles des Gefilmten ist aber gerade in der Privatheit der beiden öffentlich schillernden Personen entstanden. Filme, die Lennon im Konzert zeigen oder mit Ono bei ihrem legendären Bed-In aus dem Jahre 1969. In den achtziger Jahren hat sie sich zunehmend Videoclips gewidmet, aber ihren dokumentarischen Anspruch dabei nicht verloren. Dann starb John Lennon. Auch dessen Tod wurde Gegenstand neuer Videos, in denen Bilder aus vergangenen Zeiten mit Bildern der einsamen Ono der Gegenwart vereint Leben als Überleben aufzeigen.

Über manche Sätze, die da so ungeniert dokumentarisch eingeflochten sind, läßt sich noch Jahrzehnte später stolpern. So, wenn Lennon sagt: »All the hippies, yippies and the hip-people, let them use their hipness and do something hip«. Ein anderes Wort, das fällt, heißt Frieden. Auch dafür sind viele der Filme gedreht worden. Sie nehmen dem zusammengestellten Programm den wissenschaftlich-versuchsthaften Charakter, der allzu oft in Einstellungen und Handlungsabläufen festgehalten ist. Vielleicht sind diese Filme aber auch ein Tribut an »den sanften Giganten«, wo sie sich als Video-Kunst-Programm auf dem heimischen Bildschirm dann besser machen würden als im Kinokollektiv vor der Leinwand. Hollywood sind sie nicht.

Harald Fricke

An diesem Wochenende werden erstmalig in Deutschland und einmalig im »Kino in der Brotfabrik« 16 der 16mm — Filme in Originalfassung gezeigt.

(Fr. 00.30, Sa. 22.00, So. 18.00)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen