Abschied von Einheitslohn und Plenumsdemokratie

■ Netzwerk — die Finanzlobby der Alternativen feiert Zehnjähriges / Projekte haben hehre Prinzipien aufgegeben

Wenn 1981 eine alternative Bremer Tischlerei Geld für eine Bandsäge brauchte, mußten die ProjektlerInnen strenge Fragen beantworten: “Inwiefern ist das Projekt in soziale Lebenszusammenhänge integriert (WG's, Kommune)? Besteht eine kollektive Eigentumsform? Eine gleiche Einkommensstruktur? Eine Entscheidungsstruktur, die allen gleichberechtigte Mitwirkung erlaubt?“

1991 haben sich die Projekte gewandelt und damit auch die Förderkriterien ihrer Finanzlobby, des Netzwerks. Der alte Fragenkatalog ruft heute bei NetzwerkerInnen Schmunzeln hervor. Mitarbeiterin Anja Blumenberg: „Wenn wir nur noch solche Projekte fördern wollten, die Einheitslohn zahlen, würden wir auf dem Geld sitzen bleiben.“ Fast alle Bremer Projekte hätten sich inzwischen von den Idealen der Gründerzeit verabschiedet. Statt Einheitslohn sei differenzierter Leistungslohn angesagt.

Ihr Kollege Niko Diemer hält den Abschied vom „Gleichheitsmythos“, vom „Alle machen/ können alles“ und von der „Basis- alles-gleichzeitig-Demokratie“ für unvermeidlich. „Professionalisierung“ heiße das neue Schlagwort. Heute nachmittag, wenn Netzwerk seinen zehnten Geburtstag feiert, werden vor und nach dem Anschnitt der Torte die Wandlungen diskutiert. Fragestellung: „Selbstverwaltet ins Jahr 2.001?! Experimentieren wir weiter oder wollen wir in Ruhe arbeiten?“ Die Festrede wird Viertelbürgermeister Hucky Heck halten, der vorher in einem Kollektivladen Fahrräder

Selbstverwaltete VergnügungsstätteFoto: Sabine Heddinga

verkauft hat.

Netzwerkerin Anja Blumenberg kennt die alternativen Wandlungen aus eigener Erfahrung. Mit 12 anderen — die meisten arbeitslose AkademikerInnen — machte sie 1983 das „erste, weiße Cafe“ Bremens auf, das „Cafe Lagerhaus“. Den gestrengen Netzwerk-Kriterien genügte das Cafe-Projekt vollkommen: Die 13 ProjektlerInnen lebten zum Teil in WG's zusammen, schmissen ihr Geld in einen Topf, rotierten auf den selbstgeschaffenen Arbeitsplätzen. In einem Schaukasten am Cafe-Eingang wurden die Cafe-BesucherInnen auf diese Prinzipien aufmerksam gemacht.

Heute hängen in diesem Schaukasten geweihartige Kunstobjekte. Denn das Groß-Kollektiv hat aufgesteckt. Ende 1986 war Schluß. Anja Blumenberg: „Es ging ökonomisch nicht. Einzelne wollten nicht mehr die anderen finanzieren“. Die Vereinbarung war gewesen: jedeR sollte sämtli

che anderweitigen Bezüge in die gemeinsame Kasse einzahlen, um im Gegenzug 500 Mark als Lebenshaltungs-Grundstock ausgezahlt zu kriegen. Alles, was über die 500 Mark hinausging, mußte über Stundenlohn im Cafe verdient werden. Der Knatsch um's Geld war vorprogrammiert.

1987 übernahm eine neue Crew das weiße Cafe mit den Gartenstühlen. Geschäftsführerin Gila Leiter: „Wir praktizieren modifizierte Selbstverwaltung. Nicht alle können die gleiche Entscheidungskraft haben.“ Im Cafe arbeiten fast noch genausoviel Leute wie früher. Doch vier davon leiten, so Gila Leiter, inzwischen hauptverantwortlich je einen der vier Arbeitsbereiche. Die anderen arbeiten umschichtig vor und hinter der Theke mit. Gezahlt werde „ganz klar Leistungslohn“. Der Spitzenverdienst liege bei 1.900 Mark. Auch die Einkommen der Hauptverantwortlichen seien unterschiedlich hoch — je nach „Kraft, Anstrengung, Verantwortung...“ Ein Stück Basisdemokratie ist aber geblieben: Alle elf Cafe-MitarbeiterInnen sind auf den wöchentlichen Plena mit gleichem Stimmrecht vertreten.

Zur Anfangsfinanzierung brauchte das „Cafe Lagerhaus“ anno '83 zweitausend Mark und die kriegte es vom Netzwerk. Letzteres war 1981 gegründet worden als — so Niko Diemer — „alternativer Klingelbeutel“. In den besten Zeiten gab es 500 SpenderInnen aus der betuchteren „A13-Szene“, die die Finanzlöcher der Projekte stopften. Niko Diemer: „Die Projekte sollten das gesellschaftliche Experiment wagen für saturierte Linke.“

Doch der Netzwerk-Topf verlor für die gewerblichen Projekte an Bedeutung. Denn ihr Finanzbedarf vergrößerte sich mit den verfeinerten Konsumansprüchen der 90er Jahre (Wer kann heute noch mit 2.000 Mark ein Szene- Cafe aufmachen?) und die Projekte suchten sich neue Geldgeber, kriegten nicht zuletzt dank des Netzwerk-Lobbyismus Kredit bei der Sparkasse und bei einem öffentlichen Förderfonds.

Die NetzwerkerInnen wandten sich verstärkt einem neuen, nicht gewerblich orientierten Klientel zu, den sozialen, Gesundheits- und Frauenprojekten. Gegenwärtig beraten zwei ExistenzgründerInnen selbstverwaltete Betriebe und zwei stehen den nicht-gewerblichen Projekten zur Verfügung: Vom Ausfüllen eines ABM-Antrages über den Lobbyismus bei knausrigen Behörden bis hin zum Organisieren von „Selbstreflexion“. Geld steht noch immer zum Verteilen an. Und Anja Blumenberg freut sich, wenn Jugendliche sich ohne Schickimicki ein Cafe herrichten oder eine Buttonmaschine anschaffen. Und Niko Diemer erinnert sich gerne an den Antrag für einen Bio-Laden aus Bremen- Nord: „Die haben einen richtigen Kollektivbetrieb gegründet — 1991.“

Barbara Debus

1. Juni, Lagerhaus Schildstraße: 14-18 Uhr Geburtstagspalaver, 21 Uhr Fest mit Tusch und Disco.