piwik no script img

Unheimisch und doppelbelichtet

■ Cees Nootebooms „Berliner Notizen“

Zzwischen Frühjahr 1989 und Sommer 1990 reist der niederländische Romanschriftsteller Cees Nooteboom, zusammen mit der Photographin Simone Sassen, von Berlin aus durch das zunächst noch sehr, bald darauf weniger geteilte Deutschland. Den dabei entstehenden 15 Reisebildern und zwei Intermezzi sind gespenstische Tagebucheindrücke einer Berlinreise von 1963 vorangestellt. Noch weiter zurück, ins Jahr '56, datieren Erinnerungen an den ungarischen Volksaufstand — der Widerhall aus jenen Tagen grundiert fernhin und unüberhörbar die Wahrnehmungen des Autors in einem Deutschland, das noch umbrochen wird und dessen ideologisches lay-out schwankend ist wie die Wetterkarte.

Nooteboom reist weniger, als daß er vom „Strudel der Ereignisse“ frömlich mitgerissen wird, die ja nicht unerheblich von den Medien im Prozeß ihrer Übermittlung mitausgelöst und beschleunigt wurden. Mit großem, gleichsam navigatorischen Geschick gelingt es ihm immer wieder, aus der reißenden Flut auszuscheren und stillere Driften und Gegenströmungen in Ufernähe anzusteuern, um von dort aus, noch im Fluß zwar, doch mit deutlich verlangsamter Fahrt, das mannigfaltige Fließbild mit der retardierenden Kraft der Erinnerung festzuhalten. Das Buch wendet sich primär an Nootebooms niederländische Leser. Daß es in eminenter Weise ein Buch für und über die Deutschen geworden ist, verdankt sich dem Umstand, daß die Zaungäste (wir) gleichzeitig Akteure und Objekte der Handlung sind.

Die Besonderheit und das Ergreifende dieser Notizen resultieren nicht allein aus dem Vermögen des Autors zur beharrlichen Rückbesinnung angesichts jäher und mit dem üblichen „Erfahrungshaushalt“ inkongruenter Erscheinungen, auch nicht allein aus seiner Fähigkeit, dieser widerspenstigen historischen Konjunktion paradoxale Bilder abzutrotzen, sondern aus seinem Standpunkt und dem damit verschwisterten melancholischen Blick: „Aber stimmte es denn, daß er sich nie im Jetzt heimisch fühlte? Das wäre romantisch und ein bißchen infantil. Es war eher ein Sich-nicht- wohl-Fühlen unter Menschen, die sich ausschließlich im Jetzt heimisch fühlten, davon alles erwarteten. Wenn man sich nicht gleichzeitig von ihm loslösen konnte, wie paradox dies auch klingen mag, war es nicht erfahrbar.“ Ganz nebenbei findet die Übersetzerin, erfindet sie das für diese Befindlichkeit zutreffende Wort: „unheimisch“.

Bei der Betrachtung des Münchner Königsplatzes schärft Nooteboom unsere Sinne für das schon Bekannte in einem Maße, daß wir es neu und anders zu sehen vermögen: „Das Weiche der Romantik verlangt die Strenge des Neoklassizismus. Hier aber ist es mit Macht vermischt, Macht und Heimweh (nach einem idealisierten Griechentum), vielleicht eine deutsche Variante... Es ist das besondere Verhältnis zu dieser antiken Welt, das die deutsche Sprache für sich beansprucht und im pompösen Wiederaufbau des Königsplatzes zum Ausdruck kommt.“ Und wie im Prozeß einer geisterhaften Dopppelbelichtung heißt es wenige Zeilen weiter: „Erst später, als beträfe es einen verlorengegangenen Beweis, sollte der Reisende ein Foto des Ehrentempels sehen, den Hitler auf dem Königsplatz... hatte errichten lassen. An Hitlers Tempel wurde dieser Anspruch erst richtig deutlich.“

Die Berliner Notizen (von denen einige zuerst in der taz erschienen, worauf hinzuweisen der Verlag vergaß) sind kein Reiseführer, der in zehn Jahren vielleicht fein dosierte Aha-Erlebnisse auslösen möchte. Sie sind für ein Deutschland und für Deutsche geschrieben, die freundlich und entschieden innewerden sollen, wie schrill der zunehmend zänkische und hämische Umgangston untereinander in den Ohren eines hellwachen Geistes klingt.

Die strengen und sachlichen Bilder von Simone Sassen korrespondieren eng mit dem Text der Reise und stellen, für sich genommen, das Kompendium einer Bilder-Reise dar. Die Bildlegenden, dialektischer Trick, sind im Anhang verstreut.

Hanns Zischler

Cees Nootebomm:

Berliner Notizen

aus dem Niederländischen von

Rosemarie Still

Suhrkamp Verlag

338 Seiten

20,- DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen