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Bonn apart

■ Senor El Aussitzen * Kunstfreund Kohl, Verfassungsfeind Weizsäcker

Helmut Kohl, der vielgerühmte Generalist, wird bekanntlich immer unterschätzt. Jetzt erleben wir, daß der Kanzler nicht nur gerne aussitzt (die spanische Zeitung El Pais nennt ihn neuerdings Señor „El Aussitzen“), sondern auch ausstellt. Im Kanzleramt eröffnete er eine Kunstsammlung mit Namen Judaica Prag. Kohl gab sich über die Werke tschechischer Juden entzückt: „prächtige Kunstwerke“ seien das, „feingearbeitete Gegenstände“ und „ergreifende Zeichnungen“. Nur schade, daß all diese Pretiosen geheime Kanzlersache bleiben — die Ausstellung ist nämlich eine Zustellung: nicht öffentlich.

Öffentlich besichtigte der Kanzler derweil den Rohbau des neuen Bundestags-Plenarsaales (so der überhaupt jemals gebraucht wird) und mutierte zum Hobby-Architekten. Sei ja alles ganz prächtig und fein gearbeitet, lobte er, aber hier und da, monierte er, müsse aber noch dies und das geändert werden. Da wurde der SPD-Abgeordnete Peter Conradi aber böse — die Richtlinienkompetenz eines Kanzlers beziehe sich auf die Politik, nicht auf aufstrebende Neubauten.

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Hauptstadtstreit und kein Ende: Circa 497,7 Stunden vor der Parlamentsentscheidung am 20.Juni meldet sich jetzt mit ungeheuerlichen Enthüllungen ein CDU-MdB zu Wort, „der aus Angst vor weiterer Bedrohung lieber ungenannt bleiben möchte“. Der Parlamentarier N.N. will von „vielen Kollegen unter vier Augen“ erfahren haben, daß Präsident von Weizsäcker mit einer „konspirativen Telefonaktion“ versuche, Abgeordnete zum Berlin-Votum zu bewegen. Dies erinnere „fatal an Pressionsversuche obrigkeitsstaatlicher Art“, der präsidiale Freiherr sei deshalb „vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der vorsätzlichen Verletzung von Amtspflichten anzuklagen“. Keiner weiß, ob das Schreiben ein Scherz ist. Aber wenn, von welcher Seite? Will ein „Bonner“ beweisen, mit welch schmutzigen Tricks die „Berliner“ arbeiten? Oder will ein „Berliner“ Eiferer zeigen, welchen Blödsinn „Bonner“ verzapfen, um „Berliner“ zu desavouieren?

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Überall werden die Regierenden von den Musen bewegt. Volker Rühe, generalsekretärialer Giftspritzer der Union, schimpft auf seinen neuen Chef-Feind Engholm ein — der habe es am vergangenen Wochenende „vorgezogen, der Diskussion um die zukünftige Rolle Deutschlands in der Welt auszuweichen und stattdessen“ — welch Fauxpas — „zum Verband der Schriftsteller zu gehen“. Ein Beleg unter vielen „für das Abgleiten der SPD ins Provinzielle“. Von Ratten und Schmeißfliegen ist nicht mehr die Rede, es reicht zu sagen: Schriftsteller — Igitt. Bernd Müllender

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