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SPD schwimmt oben — CDU abgesoffen

Bei den Bürgerschaftswahlen an der Elbe fahren die Sozialdemokraten einen deutlichen Sieg ein Rot-Grün erreicht gemeinsam 55 Prozent/ CDU mit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten  ■ Aus Hamburg Jürgen Oetting

„Die Leute in Hamburg wissen, daß grüne Politik im Rathaus gebraucht wird.“ So lobte der männliche Spitzenkandidat der GAL-Grünen, Listenzweiter Michael Pollmann, gleich nach Bekanntgabe der ZDF- Prognose die WählerInnen. Die Grünen haben ihr erstes Wahlziel erreicht, die Wiedereinkehr in das Landesparlament. Sogar für ihr zweites Ziel gibt es an der Elbe eine deutliche Mehrheit: Ein rot-grüner Senat wäre mathematisch problemlos möglich. SozialdemokratInnen und Grüne erzielten nach ersten Hochrechnungen gemeinsam mehr als 55 Prozent. Aber vor einer rot-grünen Regierung steht die absolute Mehrheit an sozialdemokratischen Mandaten, die sich von der ersten Hochrechnung an abzeichnete. Und außerdem machte der von den WählerInnen überzeugend bestätigte Regierungschef Henning Voscherau auch gestern abend kein Geheimnis daraus, daß er nach wie vor ein Regierungsbündnis mit der FDP vorziehen würde, die in Hamburg abspecken mußte.

Gestern abend gab es an der Elbe nur einen großen Sieger, die Sozialdemokratische Partei, die nach einem vierjährigen sozial-liberalen Zwischenspiel voraussichtlich wieder alleine regieren kann. Sie erzielte bei sehr geringer Wahlbeteiligung (nur zwei Drittel der WählerInnen machten sich auf den Weg) eine knappe absolute Mehrheit an Rathausmandaten. Dafür sorgten indirekt die fundamentalopositionelle GAL-Abspaltung „Alternative Liste“ (AL) und die PDS, die jeweils nur ein halbes Prozent erzielten und damit das Ergebnis der „Sonstigen“, die draußen bleiben müssen, auf fast fünf Prozent hochschraubten. Unter ihnen waren die rechtsradikalen Republikaner mit 1,2 Prozent noch die Erfolgreichsten.

Der „kleine Sieger“ ist der Hamburger Landesverband der Grünen. Nach monatelangen Strömungskämpfen und einer unter allseitigen Schmerzen herbeigeführten Wende zu realpolitischen Positionen inclusive Koalitionsbereitschaft war in den letzten Wochen noch heftig um den Einzug in das Rathaus gezittert worden. Die große Frage lautete: Ist unsere Wende bereits im Bewußtsein der Öffentlichkeit angekommen? Sie ist. Der neugebackene Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schmidt, der in einer rot-grünen Regierung Verkehrsenator werden sollte, bewunderte den Langmut der Hamburger WählerInnen, die sich vom grün-alternativen Politikerzirkel in den vergangenen Monaten einiges bieten lassen mußten. Mit einer konstruktiven Opposition soll das Vertrauen in die Grünen wiedergewonnen werden. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Simone Dietz, deutete in ersten Interviews an, daß es mit fundamentalen Oppositionssprüchen vorbei sein wird. Auch wenn es zu keinem Regierungsbündnis komme, werde man von Fall zu Fall mit der SPD zusammenarbeiten.

Während bei der GAL stille Zufriedenheit herrschte — für den großen Jubel waren die vergangenen Monate wohl zu nervenaufreibend — machte sich bei der FDP Enttäuschung breit und bei der CDU tiefe Resignation. Der bisherige liberale Regierungspartner sackte gefährlich nahe an die Fünfprozentgrenze heran. Die FreidemokratInnen hatten sich im Wahlkampf nicht überzeugend gegen ihr Image als „Partei der Immobilienhändler“ wehren können. Außerdem dürften ihr die Verbindungen einflußreicher Mitglieder mit der Scientology-Kirche geschadet haben.

Mit ihrem zum dritten Mal schmählich gescheiterten Spitzenkandidaten Hartmut Perschau fuhr die CDU das schlechteste Ergebnis seit dem Bestehen des Bundeslandes Hamburg ein. Doch seine Parteifreunde mochten dem tapferen Major nicht die Schuld am Desaster in die Schuhe schieben. CDU-Fraktionsvorsitzender Rolf Kruse erklärte die „glatte Niederlage trotz des guten Perschau-Wahlkampfes“ mit dem Bundestrend. Auch die sozialdemokratische Landesvorsitzende Traute Müller erkannte übergeordnete Einflüsse. Das prima Ergebnis für ihre Partei sei eine „Quittung für Helmut Kohl“ und dem Rückenwind von der Bundespartei gedankt.

Eines ist nach dem gestrigen Ergebnis völlig klar: Die Hafenstraße entscheidet keine Hamburger Wahlen. Trotz Voscheraus nicht eingehaltenem Räumungsversprechen erzielte er ein hervorragendes Ergebnis. Dasselbe mußte Perschau erfahren — trotz seiner penetranten Räumungsforderungen landete er im Abseits.

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