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NICHTMAHRGANZTAUFRISCH,DAFÜRCHIPSFRISCH ■ BEE GEES
Beinahe ein Vierteljahrhundert ist es nun her, daß die Gebrüder Gibb als Kinderstars in Sydney ihre ersten Erfolge feiern durften. So was wie einen Stimmbruch scheint es nie gegeben zu haben. Der frühe Erfolg half, dem Bewährten gegenüber dem Neuen stets den Vorzug zu geben. Sprich die dem Gospel entlehnten Harmonien eingebettet in die simpleren Songideen der Beatles. Träge wie Fettaugen schwimmt seitdem die preziöse Poptrinität auf dem Gemisch von Schwülst und Selbstzufriedenheit. Abgebrüht und gesättigt. Ohne merkliche Kennzeichen des Altern, vergleichbar der Crew eines Fernsehraumschiffes, jenseits von Raum und Zeit bewegt sich die stoische Troika in den unendlichen Weiten des Trivialen. Jenseits von Gut und Böse.
In der Tat, denn sie boten nie Identifikationsmöglichkeiten, weder im Positiven, noch im Negativen. Nie waren sie Idole, sieht man einmal von einer gewissen Vorbildfunktion für Supertramp oder Pet Shop Boys ab. Nie waren sie Haßobjekte, sieht man einmal von einer bestimmten Ausformung des Jugendlichen so um 1977 ab, der in »Saturdaynight Fever« eine besonders fiese Laune der bürgerlichen Gesellschaft zu erkennen glaubte. Dabei waren die Bee Gees nie mehr denn unspektakuläre Enbleme ihrer Zeit, wie das auch auf Geschirrspülmittel oder Kartoffelchips zutrifft. Die Verpackung mag sich von Zeit zu Zeit ändern, der Inhalt bleibt gleich.
Heute promotet das Produkt eines Chipsherstellers das Produkt Bee Gees, und kein Mensch weiß, ob es umgekehrt nicht vernünftiger wäre. Die Bee Gees haben's vom Geld her sicherlich nicht nötig. Und alle, die das Gegenteil behaupten, bewegen sich auf der Ebene des Konzertmoguls Rau, der meint, ohne Promoter wären Tourneen Minusgeschäfte. Nein, die Bee Gees lassen sich sponsorn, weil das alle machen. Und weil jeder dahergelaufene Popstar ökologische Krisen beweint, beweinen auch die Bee Gees die Krisen dieser Welt: »Auf 'High Civilisation‘ (die neue LP der Bee Gees, J.P.) beschreiben wir auch, wie man in den 90er Jahren leben könnte«, schwadroniert Maurice Gibb visionär in einem Interview. Zeitlos beliebig oder beliebige Zeitlosigkeit könnte man auch sagen. Oder um einen unvoreingenommenen Zeugen in Sachen Überflußprodukt Bee Gees, den Philosophen Schopenhauer, zu Wort kommen zu lassen: »Die Mutter der nützlichen Künste ist die Not, die der schönen der Überfluß.«
Hieraus zu folgern, die westliche Welt brauche eine ökonomische Krise, halte ich für übertrieben und unnötig. Wie jedes Überflußprodukt werden auch die Bee Gees selbst eines Tages überflüssig sein. Weil sie entweder von einem anderen Produkt verdrängt werden oder sich niemand mehr an sie erinnern kann. Und selbst Chips werden dann nicht mehr helfen. Josef Pichelmaier
AM4.,5.UND7.6INDERWALDBÜHNE
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