: Die Wölfe sind hellwach
■ Betr.: "Die Staatskünstler", taz vom 24.5.91
betr.: „Die Staatskünstler“,
taz (Literatur) vom 24.5.91
Die Geschundenen des SED-Regimes sind an einer Aufarbeitung der Vergangenheit erheblich mehr interessiert, als die Schinder. Im Schriftstellerverband der sogenannten ehemaligen DDR hat es keine Vergangenheitsbewältigung gegeben.
Vorstandsbonze Henniger ist unbehelligt verschollen, Bezirkssekretär Küchler in den Vorruhestand erhoben. Der harte SED-Kern macht's möglich.
Die Großinquisitoren Kant und Görlich, die Liebling Mielke in seinem Ukas zum 4.November 1989 als besonders vertrauenswürdig einschätzte, fordern frech ihre Mitgliedschaft im Deutschen Schriftstellerverband. Die Demokratie macht's möglich. Ex-Präsident Kant konnte als „Herzgeschichtler“ mit einem Wolfgang-Schnur-Trick auf dem letzten Schriftstellerkongreß der DDR im März 1990 quasi als Eröffnungsrede einen Begrüßungsbrief verlesen lassen. Versammlungsleiter Klaus-Dieter Sommer machte es möglich.
Und auf dem ersten Gesamtberliner Schriftstellertreffen im März 1991 war „zufällig“ ein Vertreter der 23 auf die Warteliste gesetzten Autoren im Gange, nachmittags, als die Helden schon müde waren, eine kleine ND-Mitarbeiterin. Die durfte uneingeladen reden und wurde mit Beifall und in Gnaden aufgenommen. Eine warmherzige Wessi-Kollegin machte das möglich.
Und was für eine von 23 gilt, gilt natürlich auch für die restlichen. Bei dieser Art von Überlebens- und Unterwanderungsstrategie könnte Tapeten-Hager Pate gestanden haben.
Hubertus Knabe fordert Untersuchung des Psychoterrors unter dem SED-Regime. Das ist ein bitteres Kapitel der Beschimpfung und Bestrafung, der Zurückweisung, des „Klinkenputzens“, des „Schularbeitenmachens“, der Diffamierung und Diskriminierung, das aus Gründen „demokratischer Toleranz“ offenbar nicht aufgearbeitet werden soll, um keine „schlafenden Wölfe“ aufzuwecken. Ein Irrtum, denn die sind hellwach. Wolfgang Teichmann,
(Ost-)Berlin
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