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Nigerias Emire werden benötigt, sind aber nicht unentbehrlich

Die islamischen Potentaten feiern zur Mekka-Pilgerzeit den „Durbar“ — ein Fest der Moslems/ Nirgendwo im mehrheitlich islamischen Afrika besitzen Religionsführer so viel „amtliche“ Autorität/ Die Militärs werben bei den Emiren um Go(o)dwill für die Einführung des Zweiparteiensystems ab 1992  ■ Von Michael Hiltzik

Kano (wps) — Umgeben von einer roten Staubwolke kommen sie die Straße entlang, in Reihen von fünf Reitern nebeneinander. Donnernd galoppieren sie an der alten Moschee von Kano vorbei. Ihr Ziel: der Palast des Emirs in dieser nordnigerianischen Stadt. Sie stieben auf die hohen Mauern zu, als ob sie die winzige dunkle Tür zu dem Labyrinth innerer Kammern regelrecht durchbrechen wollten.

Doch im letzten Moment kommen die Pferde abrupt zum Stehen und recken sich auf ihren Hinterbeinen hoch in die Luft. Anerkennender Jubel ertönt aus der wartenden Menge. Die Reiter steigen ab und gesellen sich zu tausend anderen. Ihre Pferde sind reichgeschmückt in Rot und Gold. Schon nähert sich aus dem fernen Staub die nächste Gruppe. Noch einmal tausend werden folgen.

Es ist die Zeit des „Durbar“ in Nigeria. Zweimal jährlich, am Ende des Fastenmonats Ramadan und jetzt zur Mekka-Pilgerzeit — dem Hadj — gibt sich der gesamte Norden Nigerias einer mittelalterlichen Festlichkeit hin. Zur Schau getragen werden Roben in Indigoblau und leuchtendem Rot, durchsetzt von Fäden aus Silber und Gold, und eigens gezüchtete Rennpferde, verziert mit bunten Masken und glitzernder Rüstung. Provinzpotentaten, die ihre Turbane in Indigofarbe tränken bis sie steif hochstehen, reisen in die alten Hauptstädte, um ihren geistigen Führern zu huldigen: den Emiren oder dem Sultan. Die Emire ihrerseits leiten Prozessionen zum nächsten Regierungssitz — hier das Militärhauptquartier in Kano. Dort treffen sie auf die nichtreligiösen Gouverneure. Jeder verbeugt sich vor der Autorität des anderen im Ausdruck der Verbundenheit und des Stolzes.

Mit der Betonung traditioneller Hierarchien und der Gemeinsamkeit politischer und geistiger Führer verkörpert der Durbar einen afrikanischen Islam. „In den Durbars wird Tradition manipuliert“, sagt der Religionsexperte Suleiman Nyang. „Sie dienen der politischen Herrschaft und der verbliebenen religiösen Autorität.“ Die Zurschaustellung des Reichtums ist auch eine Erinnerung an die Wurzeln des Islam in Afrika im 11.Jahrhundert, als arabische Händler zum ersten Mal in die Savannen vordrangen. Den lokalen Größen boten die arabischen Karawanen exotische Güter und Symbole neuer Macht, die mit der islamischen Religion verbunden und bald von einer neuen afrikanischen Händlerschicht übernommen wurden.

Die Partnerschaft zwischen Religion und Staatsmacht im Durbar reflektiert auch einen weiteren Wendepunkt in der Entwicklung des afrikanischen Islam: die Ankunft der britischen Kolonialisten. Von etwa 1903 an stützten sich die britischen Herrscher auf die islamischen Autoritäten, um ihre Verwaltung in Nordnigeria zu verankern. Dieses System indirekter Herrschaft stärkte die Emire und machte sie gleichzeitig zu Werkzeugen der Kolonialmacht.

Insgesamt symbolisiert der Durbar den ungebrochenen Einfluß des Islam auf diese Region. Afrika ist der einzige Kontinent der Welt, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus Moslems besteht — im Maghreb, in Nigeria und Senegal und den Staaten der Sahelzone, an den Küstenregionen Kenias und Tansanias. In einer Zeit von Militärherrschaft und Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise und gesellschaftlichem Zerfall im Zuge der Urbanisierung spielt der Islam eine gemeinschaftsstiftende Rolle.

Nordnigerias Emire — Hort der Stabilität

Nigerias 120 Millionen Einwohner sind zu je 40 Prozent moslemisch und christlich. In 31 Jahren Unabhängigkeit gab es sieben Militärputsche und nur neun Jahre zivile Herrschaft. Die Emire des Nordens mit ihrer religiösen Autorität und ihrem traditionalistischen Erbe wurden in diesen zerrissenen Zeiten zu Ankern der Stabilität. Wohl in keinem anderen säkularen Staat der Welt haben religiöse Führer soviel quasi-amtliche Autorität. „Einige traditionelle Autoritäten Nigerias sind zu Symbolen des Überlebens geworden“, sagt der nigerianische Politologe Claude Ake. „Das geschieht, wenn der Staat sich nicht wirklich etablieren oder Loyalität stiften kann.“

Nicht alle Nigerianer sind über den Einfluß der Emire glücklich. Der christliche Süden mißtraut der islamischen Tradition, die keine Trennung zwischen Staat und Kirche kennt. „Die Südnigerianer wollen Religion von der Politik fernhalten“, sagt Ake. „Für die Nordnigerianer ist dies Unsinn. Das führt zu einem Verständigungsproblem.“

Islamisch-christliche Spannungen wurden vor wenigen Wochen deutlich, als in einem nordnigerianischen Staat bis zu 800 Menschen bei schweren Unruhen ums Leben kamen. Das Gerücht, ein Priester habe in seiner Predigt den Koran beleidigt, führte zu blutigen Kämpfen, die eine Woche andauerten. Die Militärregierung Nigerias versucht nicht, das Selbstbewußtsein der Emire zu brechen. Sie erlaubt ihnen, ihren Anhängern in Klientelmanier saudi-arabische Visa zu erteilen, mit denen die Pilgerfahrt nach Mekka angetreten werden kann. Dieses Jahr bekamen die Emire zum Durbar eine inzwischen „traditionelle“ Herrschergabe in Afrika: eine Flotte von Mercedes- Limousinen.

Wichtiger noch: Präsident Babangida, selbst moslemisch, unternahm einen politisch delikaten Schritt; er wandelte den Beobachterstatus Nigerias bei der „Organisation Islamische Konferenz“ zu einer Vollmitgliedschaft um. Beobachter im Lande halten dies für ein Zugeständnis an den Druck seitens der Emire.

Die nigerianische Regierung ist auf die Emire politisch angewiesen. 1992 will sie die Macht an eine gewählte Zivilregierung abgeben. Dafür hat sie ein Zweiparteiensystem geschaffen, und sie hofft auf die Emire, um die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür zu erhöhen. „Wir versuchen die Leute zu ermutigen, daß sie diese Veränderungen annehmen“, sagt der Emir von Kano, Alhaji Ado Bayero. „Wir ermuntern sie, wählen zu gehen. Sie werden sehen, daß Tausende nicht zur Wahl gehen, wenn es nicht diese Botschaft der traditionellen Führer gäbe.“

Der große Einfluß der Emire ist auf die britische Kolonisierung zurückzuführen. Die Briten hielten sich die meist aus dem Fulani-Volk stammenden Emire des Nordens als „Genien der Regierungskunst — unter der Voraussetzung, daß ihre Macht, Böses zu tun, eingeschränkt wird“, wie ein früherer Kolonialbeamter schrieb. So wurde den Emiren erlaubt, das Territorium unter britischer Aufsicht und Beratung zu verwalten. Den Königen des Südens, die überlieferten Religionen nachgingen, wurde ein solcher Status nie gewährt. So entwickelten sich die Emire zu den wichtigsten einheimischen Persönlichkeiten im gesamten britischen Nigeria, den Süden eingeschlossen.

In der islamischen Welt genießen die Emire ein hohes Ansehen. Sie verfügen über beispiellos gute Verbindungen zu den Ölstaaten des Nahen Ostens, und dies gibt ihnen lebenswichtige wirtschaftliche Macht in Nigeria selbst. Da ein Großteil der nigerianischen Wirtschaft auf Korruption beruht, profitieren davon insbesondere die gläubigsten Anhänger der Emire. „Die tradtionellen Führer erhalten Unterstützung von allen wichtigen Leuten im Land“, sagt Isiaku Raviu, Herr über ein in Kano ansässiges Firmenkonglomerat mit einem Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar. „Sie sind in der Lage, für uns Geschäftsverbindungen zu lokalen Firmen und Banken zu knüpfen, und auch außerhalb des Landes Beziehungen zu vermitteln. Wir arbeiten als ein Team.“

Doch die Verwestlichung ihrer Machtsphäre könnte zu einer Erosion der Macht der Emire führen. Zwar kann die Erklärung eines Emirs oder des Sultans von Sokoto — der höchstrangige Moslem in Nigeria — einen Gewaltausbruch beenden. Doch ist vielen Nigerianern klar, daß die Behauptung der Emire, sie hielten die Hand über die öffentliche Meinung, auf Eigeninteresse beruht. „Wenn sie sagen, ohne sie könnte der Staat keine Wahlen abhalten, ist dies übertrieben“, sagt Nyang. „Sie werden benötigt, aber sie sind nicht unentbehrlich.“

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