piwik no script img

Ein Mysterium oder Die Andacht der Szene

■ Im Schlachthof: „Le Mystere des Voix Bulgares“

Es liegt ein Rest von Geheimnis darin, warum der zurückhaltende, traditionelle Chor des bulgarischen Rundfunks nun schon seit Jahren ein von der Szene dominiertes Publikum in seinen Bann zieht.

Die Kesselhalle war gefüllt mit einem Schlachthof-typischen Publikum, das hin-und hergerissen war zwischen hingebungsvoller Andacht und tosender Begeisterung. Auf der Bühne, im Halbrund, jene zwei Dutzend jungen und älteren Damen in bunten Trachten, die in den vergangenen Jahren weltweit auf beispiellosen Erfolgskurs geraten sind.

Kehlkopf und Oberton

Viel ist seitdem geschrieben worden über „Le Mystere des voix Bulgares“: Über die Technik der Sängerinnen, im Kehlkopf obertonfreie Töne zu bilden, über ihre griffige Mischung aus orientalisch anmutender Phrasierung und volksliedhaften Wendungen oder über ihr eigenes polyphones Tonsystem, das in Dur und Moll erzogenen Hörern fremdartig in den Ohren nachhall.

Auch bei ihrem nunmehr vierten Auftreten in Bremen war der Eindruck unvermindert stark. Dirigentin Dora Hristova präsentierte ein vorsichtig runderneuertes Programm, eine abgestimmte Mischung aus traditionellen Volksweisen, zum Teil sehr komplexen zeitgenössischen Kompositionen und gelegentlichen harmonischen Zugeständnissen an die Hörgewohnheiten. Ein virtuoses Quartett mit Flöte, Mandoline, Dudelsack und der bulgarischen Fiddle „Gadulka“ begleitete zwischendurch Solistinnen und Teilchöre. Doch den vollen Schub bekam das einzigartige Klangbild immer nur dann, wenn der gesamte Chor auf der Bühne stand.

Lieder von schwebender Zartheit wie das gleich zweimal gesungene Volkslied „Todoras Traum“ wechselten dann mit kraftvollen Neukompositionen im Stil des Abschlußliedes „Dyulmano, dyulbero“. Nach der Pause erschienen die Frauen in Schwarz, um wohl auch optisch darzustellen, daß sie über das Vermitteln bulgarischer Folklore hinaus Ambitionen haben.

Mit freundlicher Zurückhaltung wurden langstielige Rosen und anhaltender Beifall entgegengenommen. Trotzdem: Dem Chor ist zu wünschen, daß er neue und alte FreundInnen (wieder)gewinnen kann, wenn der nächste Auftritt in Bremen an einem etwas glücklicher gewählten Veranstaltungsort stattfindet. Rainer Köster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen