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Videowand in Spontanvegetation

■ Stadtplanungen von Lenné und Landschafts- planungen für das »Gleisdreieck« im Stadt Tor

Recht kritisch guckt Peter Joseph Lenné von der Stellwand herüber: Der Gartenkünstler ist mit eigenen Stadtplanungen — dem Tiergarten, den Schmuck- und Grenzzügen, dem Landwehrkanal und Luisenstädtischen Verbindungskanal — ins Kreuzberger Stadt Tor geholt worden, um die Ausstellung Gleisdreieck morgen — sechs Ideen für einen Park zu kommentieren. Die Projekte sind Ergebnisse des Ideenwettbewerbs Gleisdreieck, den die Buga-GmbH 1990 an sechs eingeladene Planungsbüros auslobte. Aus dem Gebiet zwischen Landwehrkanal und den Yorckbrücken, so der noch gültige Flächennutzungsplan, soll bis zur Bundesgartenschau 1995 eine Parkanlage als Teil des Grünzugs vom Teltowkanal bis Mitte entstehen.

Allerdings: Das Bahngelände zwischen Schöneberg und Kreuzberg ist mittlerweile auch zur Projektionsfläche für Träume der Bahn, von Investoren und Planern geworden, so daß über die künftige Nutzung keine endgültige Klarheit herrscht. Die Bahn beansprucht wieder Trassen, an der Yorckstraße ist ein Hochhauskomplex geplant, über den Zank um den teuersten Park der Welt, so die Kritiker des Konzepts, ist noch lange kein Gras gewachsen.

Das Gelände um den U-Bahnhof Gleisdreieck gibt sich heute als Brachlandschaft aus Schutt- und Sandbergen. Eingestreut liegen Lagerflächen, Relikte der Eisenbahnnutzung und technische Bauwerke, die im Wildwuchs aus Spontanvegetation untergetaucht sind. Die einstigen Rangiertrassen des Potsdamer- und Anhalter Güterbahnhofs sind nurmehr als Rudimente der fast 150jährigen Berliner Bahngeschichte wahrnehmbar. Lediglich das Museum für Verkehr und Technik konnte vor den alten Lokschuppen feste Wurzeln schlagen.

Die sechs Entwürfe bewegen sich zwischen historischer Spurensicherung, unverständlicher Künstlichkeit, gewollter Überwucherung und bugaimmanenter Kleingärtnerei. Eine Zonierung des Parks durch Bebauung mit Ökohäusern und Kultureinrichtungen, Sport- und Kleingartenanlagen schlägt die holländische Gruppe »Dous« (Design of urban space) vor, indem das Gelände nach Süden in ein immer offener strukturiertes Naturgebiet umgewandelt wird. Peter Latz, Landschaftsplaner aus Freising, nimmt die Bahnlinien als signifikante Zeichen auf und baut sie zu nord-süd-gestreiften Grünbändern um. Auch die Berliner Landschaftsplaner Becker, Giseke u.a. zonieren ihr »Boom-Town-Green«- Konzept: Das Gleisdreieck schiebt sich bei ihnen als »Parkkeil« zwischen die Stadtteile. Die Polarität zwischen Natur und Stadt steigern sie durch Kunstparkerlebnisse aus Alleen, Türmen, riesigen Brücken und Videowänden zwischen Spontanvegetation und »vergangenen Zeitschichten«, daß einem angst und bange werden kann.

Beinahe einfach und darum auch machbar sind schließlich die beiden Entwürfe Der Park von Dietrich/ Lude, Berlin, und Michael Adlers und Melina Audorfs Europäischer Garten. Während Adler/Audorf mit dem qualifizierten Grüngürtel eine südliche Verlängerung des Tiergartens im Sinn haben, um die »Lungenmaschine« zu entlasten, sehen Dietrich/Lude barock anmutende Raumvariationen für das Gelände vor. Im Norden schlagen sie den Ausbau der S-Bahn-Bögen in Dienstleistungsbereiche vor, bilden Stadtkanten und schaffen zahlreiche Erschließungswege. Ein übergeordnetes System axialer und räumlicher Beziehungen entsteht in ihrem Park, in dem landschaftliche und bauliche Bereiche deutlich getrennt werden. rola

Zur Ausstellung erscheint eine Dokumentation über Peter Joseph Lennés Berliner Stadtplanungen; eine Broschüre zu den Entwürfen »Gleisdreieck« ist geplant. Heute abend findet um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum selbigen Thema statt. Eingeladen sind Vertreter der Senatsumweltverwaltung, des Bezirks, der Reichsbahn, Landschafts- und Freiraumplaner. Ort: Stadt Tor, U-Bahnhof Schlesisches Tor.

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