: Gibb mir das fever zurück
■ Die Bee Gees vor 18.000 zwischen 30 und 50 in der Waldbühne
Wir werden eben alle älter und nicht jünger. Die meisten mogeln sich um die 30 herum, manche an die 40 heran, und auch solche, die allmählich auf die Lebensmitte zusteuern, werden ermunternd von den anderen untergehakt, während man in der Zeit voranschreitet. Auf diese Art und Weise bewegten sich die 18.000 Gleichgesinnten ohne wenn und aber, ohne Zwist und Rangeleien mit den Ordnern zum ersten Konzert, das die Bee Gees in der Waldbühne gaben. Ein Bericht von Harald Fricke.
Das hat man in letzter Zeit selten, aber gerne. Bei 10.000 Besuchern um die 30 Jahre, 5.000 um die 40 und 3.000 um die 50 kommt in etwa ein Schnitt von 35 Jahren heraus. Der so ermittelte Bee Gees-Fan war also gerade im Teenager-Alter, als die Band ihre ersten Erfolge mit Massachusetts einheimsen konnte; wahlberechtigt und im heiratsfähigen Alter, als Saturday Night Fever aus den Jukeboxen und Diskotheken erschallte. Und eher weiblich, was der Blick durch die Reihen der Waldbühne bestätigte. Ansonsten waren alles potentielle SPD-Wähler und -Wählerinnen, die mit ihrer Erstwahl dem Helmut Schmidt den Sozialismus knapp vor der Freiheit Helmut Kohls gerettet hatten, oder im anderen Teil Deutschlands mit ihrer Stimme für die Kandidaten der Nationalen Front ein überzeugendes Votum für dieses und jenes abgegeben haben.
Ein endloses Vlies aus neonrosanen Regenjacken und wattierten Mänteln hatte sich im Auditorium ausgebreitet, als hätte »adidas« und nicht »Chipsfrisch« das Sponsoring der Band besorgt.
Dann kamen die Bee Gees auf die Bühne und ein unbändigbares Meer aus Händen brach in einem tosenden Orkan hervor und wollte während der kommenden Stunden gar nicht mehr einhalten, so viel gab es zu beklatschen.
Gleich zu Anfang Tragedy, ein Killer für einsame Herzen, dann So You Win Again, die Brüder Gibb schienen auf einen schnellen Sieg zu spielen. Stöhnen und Kreischen mischte sich unter das gleichmäßig rhythmische Klatschen. Hier waren Profis am Werk. Denn nun überfiel Bruder Barry die aus ihrer Alltagslethargie erwachten Menschenwesen mit ihren eigenen, tief eingegrabenen Sehnsüchten, hauchte Secret Love von der aktuellen LP und war der große Verführer, der mit einem vielsagend durchdringenden Blick die unterdrückte Liebe aus der Tagebuchzeit wieder aufflammen läßt. Mit einem Lächeln auf den Lippen, denn schließlich ist er seit 20 Jahren verheiratet.
Doch das Unfaßbare überhaupt: die Gibbs sehen immer noch wie die Bee Gees aus. Schlank und frisch und fröhlich, mit Falten zwar, aber naturbelassenen. Keine Zwangsjugendlichen, die sich wie Cher den halben Körper für teures Geld plastisch aufarbeiten lassen, sondern überzeugend im Hier und Jetzt alternd. Und das verspricht Hoffnung für all die da draußen im Publikum, die sich von einer Fernsehillustriertendiät zur anderen quälen. Die Bee Gees sprechen die innere Schönheit an, eine, die die Videoclips fast verdrängt haben. Die Bee Gees sind dagegen ganz alte Schule: lange, sehr lange Haare umwehen die Häupter von Barry und Robin, während Maurice sich weise mit einem Panik-Hut à la Lindenberg bedeckt hält.
Der Funke springt über. Die Bierbäuche, die viel zu lange eingezogen, schießen hervor und geraten unter den Sixtieshymnenklängen ins Rotieren. Die Kontaktlinsen waren von vornherein zu Hause geblieben, die Hochhackigen von einst sind gegen unverfängliche orthopädische Latschen eingetauscht worden. Ganz allgemein überwiegen Slipper, Turnschuhe und gute Laune. Wer Mensch sein will, hier kann er/sie es sein. Immer enger schmiegen sich Paare aneinander, die schon seit Jahren einander die Treue halten. Nun schmusen sie, und die Bee Gees kramen in ihren Erinnerungen. Früher, in den Siebzigern, war das alles einmal ganz anders gewesen. Da sangen sie Stayin' Alive, da gingen die Paare tanzen und tauschen: Saturday Night Fever. Die Hörner sind mittlerweile abgestoßen.
Words ertönt und Wunderkerzen verräuchern die Luft. Auf der Bühne richten sich die Gebrüder Gibb auf ein Medley ein: Barry ist die zentrale Figur, Maurice klampft und orgelt, Robin steuert die hohen Falsettöne in der Fistellage bei. Alles wie früher. Die ersten Männerfreundschaften ziehen paarweise Arm in Arm zum Bierstand, dem Schultheiss entgegen. Die Menge tost, tobt und klatscht sich mit Applaus die Hände wund, ein ungeschickter Enddreißiger verbrennt sich die Finger an einem ausglühenden Bengalfeuer. Und dann dürfen alle mitsingen: »It's only words and words are all I have to take your heart away.« Ganz großer Applaus, und die Band hat nicht einmal gelogen, mit dem, was sie da gerade versprochen hat. Jetzt folgt tatsächlich Stayin' Alive, als dürfe kein Frühherzinfarktler verschont werden. Dann tanzen alle, zwar nicht den Ausfallschritt von John Travolta, aber immerhin von einem Fuß auf den anderen, den/die Partner/in noch enger umschlungen, als könnte er/sie es sich doch noch einmal anders überlegen.
Die Balladen werden trauriger im Medley-Block, es fängt an zu regnen. »Isn't this rain great?« fragt Barry spitzbübisch von der Bühne herab und gießt weitere Depressionsballaden über den Häuptern aus. Im Chor möchten am liebsten alle das unendlich gedehnte »schööön« des traurigen Clowns Grog zur Antwort geben. Denn die Trauer hat auch etwas lustiges, wenn Robin singt: »I started a joke that made the whole world crying.« Je dunkler es wurde, desto älter die Lieder. Die Erinnerungsmaschine war nicht mehr aufzuhalten, nun erinnerten sich die Brüder selbst der Geschichten, die ihnen der Vater erzählte, als sie noch kleine Buben waren:vom »New York Mining Desaster 1941«, daß, von ihnen nacherzählt, der erste Welterfolg der Bee Gees wurde.
Ein jäher Umschwung der Gefühle, zum Ende hin wird wieder gepowert. Dazu bedarf es einer Band aus drei Gitarristen zwei Keyboardern, Schlagzeug, Baß, zwei schwarzen Backingsängerinnen und natürlich der drei Gees, damit die Bee Gees klingen, wie die Bee Gees klingen. Die Pet Shop Boys brauchen dafür zwei Computer, sie klingen aber auch bloß so ähnlich wie die drei aus Manchester.
Mit You should be dancing entlassen die Bee Gees ihr Publikum nach über zwei Stunden. So lange spielt sonst keiner mehr.Am Freitag noch einmal in der Waldbühne. Harald Fricke
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