: Die Hauptstadtlösung — Bonn statt Brüssel
■ Die Spitzengespräche der Bonner Politiker zum Regierungssitz blieben gestern ergebnislos/ Fantasievolle Vorschläge von Hinterbänklern sorgen für Erheiterung
Bonn/Berlin. Das Pokerspiel um den künftigen Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland geht weiter. Auch gestern konnten sich die Spitzenpolitiker der Bonner Parteien mit der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten auf keinen Kompromiß einigen. Sie trafen sich am Donnerstag erneut in den Amtsstuben von Rita Süssmuth, um einen Ausweg aus der verfahrenen Diskussion zu suchen. »Der Gesprächsbedarf ist noch erheblich!« ließ Diepgen zwischen Tür und Angel verlauten — mit einem konkreten Ergebnis der Gespräche rechnete am Abend niemand mehr.
Keine Lösung in Sicht also — immerhin regt der Streit um den Regierungssitz die Fantasie der Abgeordneten an. So schlug der CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Luster jetzt allen Ernstes vor, die EG-Kommission ganz oder teilweise von Brüssel nach Bonn zu verlegen. Bundesregierung und Bundestag könnten so ohne Verlust für die Stadt am Rhein nach Berlin umziehen. In Brüssel sorgte der Vorschlag des Hinterbänklers für Erheiterung im tristen Bürokratenalltag. Bundespostminister Schwarz-Schilling (CDU) bereicherte die ohnehin sehr strapazierte Diskussion durch einen technischen Vorschlag. Er verwies auf die Möglichkeit der Bundespost, Videokonferenzen zum Beispiel zwischen dem in Berlin tagenden Bundestag und der in Bonn arbeitenden Bundesregierung zu schalten.
Entscheidender Konfliktpunkt ist weiterhin der Sitz des Bundestages. Der als Kompromißlösung verkaufte Vorschlag des Bundesratspräsidenten und Hamburger Bürgermeisters Henning Voscherau (SPD), wird von den Berlin-Befürwortern nicht akzeptiert, weil der Bundestag zumindest vorerst in Bonn bleiben soll. Voscherau hat die Verlegung der Sitze des Bundespräsidenten, des Auswärtigen Amtes samt Botschaften sowie der Tagungen des Bundesrates nach Berlin angeregt. »Die Hauptstadt ist da, wo das Parlament sitzt!« unterstrich Diepgen.
Voscherau minderte die Chancen seines Vorschlags am Donnerstag zusätzlich dadurch, daß er für einen Verbleib der für die Arbeit der Ländervertretung wichtigen Ausschüsse in Bonn eintrat. Sie müßten aus praktischen Gründen am Sitz von Bundesregierung und Bundestag bleiben. Kanzleramtsminister Seiters vertrat die Ansicht, die Suche nach einer Lösung sei vor allem Sache des Bundestages. Die Regierung stehe aber hilfreich zur Verfügung. Neue Vorschläge habe er nicht. Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt (SPD) sagte, es gebe noch genügend Zeit, um bis zum 20. Juni zu einer Einigung zu kommen. »Sonst müssen wir notfalls entscheiden.«
Auch bei einer Sitzung des geschäftsführenden Fraktionsvorstands der CDU/CSU war man am Morgen offenbar in der Konsensdiskussion nicht weitergekommen. Voscheraus Vorschlag wurde dort als »wenig praktikabel« bezeichnet. Das Modell des stellvertretenden Fraktionschefs Heiner Geißler, das einen Umzug des Parlaments nach Berlin und den Verbleib der Regierung in Bonn vorsieht, fand in diesem Gremium mehr Zustimmung. ccm/dpa
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen