: Pflegeversicherung-betr.: "Pflegefall Pflegeversicherung", taz vom 29.5.91
betr.: „Pflegefall Pflegeversicherung“, taz vom 29.5.91
„Für das materielle Risiko im Pflegefall wäre gesorgt“, so bewertest Du abschließend das Blüm-Modell einer Pflegeversicherung. Richtig hätte es heißen müssen: „Für das materielle Risiko der öffentlichen Haushalte im Pflegefall.“ Denn die Kassen der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe werden ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen. Was für die Pflegebedürftigen dabei rauskommt, ist noch weitgehend im Dunkeln, und die bisher bekannten Eckwerte sowohl der SPD wie der CDU versprechen wenig Gutes.
Es wurde fast 20 Jahre über materielle und qualitative Fragen der Pflege gestritten. Unter den ExpertInnen besteht weitgehend Einigkeit, daß mit einer gesetzlichen Absicherung des Pflegerisikos vor allem die ambulante und teilstationäre Versorgung ausgebaut werden muß, um aus dem Dilemma herauszukommen, daß Pflege entweder sich (zwischen 80 und 90 Prozent) auf unbezahlte Frauenarbeit in den Familien stützt oder per Aussonderung in Heime läuft. Und unisono wird gefordert, daß wir einen erweiterten Pflegebegriff brauchen, der über „satt und sauber“ hinaus in aktivierender und rehabilitierender Absicht psychosoziale und gerontopsychiatrische Hilfen einschließt.
Die Pflegeversicherungskonzepte der großen Parteien sind aber völlig strukturkonservativ: Die Anbindung an die Krankenkassen droht deren verengten Pflegebegriff festzuschreiben, die Leistungen bevorzugen ganz eindeutig die stationäre gegenüber der ambulanten Pflege, die Unterstützung pflegender Familienangehöriger sind Bröckchen, die die Frauen weiterhin zur Pflegearbeit motivieren sollen, und gehen zum Teil an der Realität vorbei. Die meisten pflegenden Familienangehörigen werden zum Beispiel von der Anrechnung ihrer Arbeit auf die Rentenansprüche nichts haben, weil sie selbst schon Rentnerinnen sind und ihre hochaltrigen Eltern pflegen. Und statt pflegebedingte Armut zu beseitigen, würde selbst das SPD- Konzept in den Heimen nur die Zweidrittelgesellschaft einführen. Denn ca. ein Drittel der HeimbewohnerInnen, bei den Frauen sogar knapp die Hälfte, bleiben TaschengeldempfängerInnen, wenn sie in voller Höhe auf den Kosten für Unterbringung und Verpflegung sitzen bleiben.
Es ist dringend nötig, die Pflegeversicherung endlich aus dem Blickwinkel zu betrachten, was dabei hinten rauskommt und wie sich das zum tatsächlichen Bedarf verhält. Dann schnurren nämlich die derzeit gehandelten Konzepte einer „Jahrhundertreform“ zur sprichwörtlichen Maus zusammen, geboren hinter einer Nebelwand wohlfeiler Schlagworte von einem ganzen Berg brennenden Reformbedarfs. Daniel Kreutz, arbeits- und
sozialpolitischer Sprecher der Grünen in Landtag NRW, Düsseldorf
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