: Sexuelle Umorientierung-betr.: "Sozialer Zwang zur Heterosexualität" von Ulrike Helwerth, taz vom 29.5.91
betr.: „Sozialer Zwang zur Heterosexualität“ von Ulrike Helwerth, taz vom 29.5.91
Daß der gesellschaftliche Zwang zur Heterosexualität eine der Ursachen für ungewollte Schwangerschaften ist, ist eigentlich eine Binsenweisheit. Denn schließlich ist nur der heterosexuelle Geschlechtsverkehr mit dem Risiko der Schwangerschaft behaftet. Gleichwohl ist die Offenlegung dieses Zusammenhangs auch bei den Grünen weitgehend tabuisiert. [...]
Bei Christina Schenks (UFV) Anti-Paragraph-218-Entwurf bleibt mir allerdings rätselhaft, wie sie aus dieser Logik heraus unter anderem durch ein „flächendeckendes Netz ambulanter Abtreibungskliniken“ dem zwangsheterosexuellen Übel beizukommen hofft. Schließlich muß doch vermutet werden, daß die Erleichterung der Abtreibung beziehungsweise deren völlige Freigabe das noch verbleibende Restrisiko heterosexueller Praxis entscheidend mindert und damit das heterosexuelle Prägungsmuster in der Gesellschaft weiter verstärkt.
Wer die Zwangsheterosexualität beklagt, muß auch den Mut haben, symptomatische Schritte zu verweigern, um grundsätzliche Lösungen durchsetzen zu können. Das aber bedeutet ein klares Bekenntnis zu einer vorwiegend homosexuell determinierten Gesellschaftsordnung. In einer überbevölkerten Welt gibt es wohl nichts Überflüssigeres, vielleicht sogar sozial schädlicheres als permanente, bereits in der Jugend einsetzende heterosexuelle Partnerschaften.
In einer ausreichend homoerotisch orientierten Gesellschaft würde sich das Thema „Abtreibung“, wie auch das Thema der sexuell motivierten Gewalt gegen Frauen von selbst erledigen.
Geradezu absurd ist es, welche ungeheuren psychischen und technischen Energien und finanziellen Mittel aufgewandt werden, nur um eine längst unsinnig gewordene Form der Sexualität aufrecht erhalten zu können: Waggonladungen empfängnisverhütender Mittel werden jedes Jahr von der pharmazeutischen Industrie vorwiegend in Frauen hineingepumpt, gesundheitliche Folgeschäden werden in Kauf genommen, ja, erst gar nicht diskutiert, und nun soll gar noch zur letzten Absicherung des heterosexuellen Wahnsinns ein „flächendeckendes Netz ambulanter Abtreibungskliniken“ her.
Andere Gesellschaften haben zu anderen Zeiten bewiesen, daß ein weitgehend homoerotisches Sexualkonzept mindestens genau so beglückend sein kann wie ein heterosexuelles. Der hohe Grad der Verbreitung der Homosexualität in diesen Kulturen beweist, daß eine sexuelle Umorientierung von der bei den meisten Menschen gegebenen Bisexualität her durchaus möglich ist, damit auf anthropologischem Grund stehen würde und von dorther in einer Zeit, in der die erste ökologische Bedrohung die Vermehrung des Menschen ist, durchaus zumutbar wäre. [...] Hermann Meer, Kamp-Lintfort
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