Let's misbehave

Der Musical-Komponist und -Dichter Cole Porter wäre am 9. Juni 100 geworden  ■ Von Gerhard Midding

Ende 1934 klärte 'Time Magazine‘ seine Leser darüber auf, was das beliebteste Gesellschaftsspiel der New Yorker Wintersaison war: wer „smart“ und „in“ sein wollte, der kannte alle sieben Strophen eines Liedes auswendig, das You're the top hieß. Darin überhäufte eine Figur das Objekt ihrer Liebe mit einer schier endlosen Folge von Superlativen: es sei so großartig wie ein Shakespeare-Sonett, das Lächeln der Mona Lisa, die Gage der Garbo, wie Zellophan und Mickey Mouse, so wunderbar wie die federleichten Tanzschritte Fred Astaires, ein Drama von O'Neill und ein Camembert, so prächtig wie Dantes Inferno, eine Rose und die Nase Jimmy Durantes.

Nie zuvor hatte ein Textdichter so beiläufig Slang mit Sophisterei vermischt, so forsch Prosaisches auf Erhabenes gereimt, so respektlos Anspielungen auf triviale und hohe Kultur aneinander gereiht wie Cole Porter. Jeden Monat bekam er 300 Parodien auf seinen Song zugeschickt, Jahre später sollten gar die Nazis den Text für ihre Propagandazwecke umdichten: „You're the top! You're Hermann Goering...“

Zusammen mit der nonchalanten Liebeserklärung „I get a kick out of you und dem programmatischen Titelsong gehörte You're the top zu den Höhepunkten einer Show, die zum Inbegriff der leichtfüßigen und unbefangenen Musikkomödie der Dreißiger werden sollte: Anything goes. Das Publikum und die Kritik begrüßten in Porter einen witzsprühenden und weltmännischen Geist, der der Eloquenz am Broadway zu neuem Ruhm verholfen hatte. Eine solch launige Versakrobatik und unbändige Reimlust hatte man bis dahin noch nicht erlebt! Porters Touch entsprach dem, was man auf Englisch so treffend und umgreifend als „sophisticated“ bezeichnet und woran jede händeringende deutsche Übersetzung scheitern muß. Die Liebe, das banalste Bühnenthema, feierte er mit raffinierten und überraschenden Metaphern oder bedachte sie mit gefälligem Spott. Seine Songs wirkten wie Cocktails, sie waren so kunstfertig gemixt, daß jede der feinstabgestimmten Zutaten harmonisch im Ganzen aufging. Und sie hinterließen keinen allzu bitteren Nachgeschmack.

Zur Kurzweil eines zerstreuungssüchtigen Publikums geschrieben, sind sie inzwischen jedoch zu einem festen Bestandteil des populären kulturellen Erbes, nicht nur der USA, avanciert. Noch in den späten siebziger Jahren ermittelte das Showbiz- Branchenblatt 'Variety‘, daß sich allein sechs seiner Stücke einen Platz auf der Liste der hundert populärsten Lieder aller Zeiten behaupten konnten: Night and Day, Begin the Beguine, Just one of those things, What is this thing called love?, I get a kick out of you und I've got you under my skin.

Porters frühe Musicals sind heutzutage nur noch dank einiger Songs bekannt — er besaß ein nicht immer sicheres Gespür für die Qualität eines Librettos —, Anything goes wurde immerhin jüngst in einigen US-Metropolen erfolgreich wiederaufgeführt und Jubilee (1935 entstanden) ist definitiv noch zu entdecken. Seine späteren Werke, allen voran Kiss me Kate eröffneten indes auf europäischen Bühnen die Epoche des Musicals. Und Filme wie High Society, Silk Stockings und Can Can wurden vor allem dank seiner Partituren zu Welterfolgen.

Seine populärsten Songs sind gar zu Ikonen des 20. Jahrhunderts geworden. Den Wiedererkennungswert ihrer zündenden Melodien weiß sich nicht nur die Fernsehwerbung dienstbar zu machen — inzwischen hat auch eine postmoderne Ballettcompagnie wie die Pina Bauschs sie in ihr Repertoire aufgenommen.

Tatsächlich aber hatte Porters Erfolg am Broadway lange auf sich warten lassen. Vielen erschienen sein Stil und seine Vorlieben zunächst als zu esoterisch. Sie entsprachen zu sehr dem Lebensgefühl und dem Jargon der exklusiven Gesellschaftszirkel, in denen Porter selbst verkehrte. Der Literaturkritiker Edmund Wilson verglich den Reiz, den seine Lieder ausübten, mit der Anziehungskraft eines mondänen Magazins wie 'The New Yorker‘: das Versprechen, teilhaben zu können am glitzernden Leben der Metropole und einzutauchen in ein Universum voller Eleganz und urbaner Lebensart. Porters Publikum glaubte, das „El Morocco“, den „Stork Club“ und das „Twenty-One“ zu kennen, ohne dort je getanzt oder diniert zu haben.

Cole Porters „savoir vivre“ war nie ganz frei von einem demonstrativen Gestus. Er hatte früh begriffen, daß in der Epoche nach dem Ersten Weltkrieg erlesener Geschmack den bloßen Geldbesitz als Indiz für Erfolg und Prestige abgelöst hatte. Die „Colporteurs“, wie man ihn und seine Ehefrau Linda bald nannte, konnten es sich als Milionenerben leisten, in ihrer Umgebung nur Makelloses zu dulden. Sämtliche Requisiten des Apartments, das sie zwischen den Weltkriegen in der Rue Monsieur in Paris bewohnten, waren stilvoll aufeinander abgestimmt. Die schlichte Art-Deco-Eleganz, bei der jeder Raum seinen ihm eigenen Charakter besaß, machten die architektonische Moderne in den USA gesellschaftsfähig. In Venedig residierten sie in den Zwanzigern — umgeben von Tiepolos — im prunkvollen Palazzo Rezzonico und luden gelegentlich Diaghilevs Russisches Ballett zur Unterhaltung ihrer Gäste ein. Porters Apartment im 33. Stock des Waldorf Tower in New York, vor allem die von William Baldwin eingerichtete Bibliothek, war nach dem Zweiten Weltkrieg berühmt als eines der stilbildendsten Beispiele avancierter Innendekoration. Porters Dinnereinladungen waren in Hollywood so begehrt, daß nicht einmal Greta Garbo absagte.

Als Repräsentant des „Jazz Age“ verkörperte Porter nahezu alles, was sein Zeitgenosse F. Scott Fitzgerald an den Reichen dieser Epoche verachtete und zugleich bewunderte. Er stand mitten im leichtsinnigen Treiben seiner Klasse und nutzte seine finanziellen Ressourcen, um seinem Leben Anmut und Eleganz zu verleihen. In Paris nahm er nicht nur teil an der frenetischen Geselligkeit des „Smart Set“, war Stammgast in den teuersten Nachtclubs und veranstaltete die ersten Charleston-Stunden. Neugierig setzte er sich auch dem Schock der künstlerischen Moderne aus, die in Paris erstmalig in das Bewußtsein der Öffentlichkeit drängte. Seine erste erfolgreiche Bühnenshow Fifty Million Frenchmen feierte in New York just zur Zeit des Börsenkrachs Premiere. Als Bonvivant ohne Schuldgefühle und Geldsorgen blieb er indessen davor behütet, aus dem Rausch der Roaring Twenties verkatert in der Depression der dreißiger Jahre aufzuwachen. Die glitzernde Aura des Jazz Age sollte den Komponisten und Privatmann Porter nie ganz verlassen.

Geboren wurde Porter im tiefsten Mittelwesten der USA, auf einer 750-Morgen-Farm außerhalb eines Fleckens namens Peru, Indiana. Er stammte aus einer puritanischen Familie, deren beträchtliches Vermögen der Großvater mütterlicherseits, ein Holzbaron, erworben hatte. Coles Vater hatte es früh verstanden, seinen Sohn für Poesie zu interessieren, besonders für die englischen Dichter der Romantik und des Viktorianischen Zeitalters. Später sollten Porters Kritiker nicht um Vergleiche zu Tennyson, Shelley und vor allem Browning verlegen sein. Porters ehrgeizige Mutter sorgte dafür, daß seine erste Komposition veröffentlicht wurde, als er gerade zehn Jahre alt war. Er studierte in Yale und Harvard und machte sich dort alsbald einen Namen als Verfasser flotter Musikkomödien im Stil Gilbert and Sullivans; die Songs, die er für die Football-Mannschaft von Yale schrieb, werden dort noch heute als Schlachtrufe gesungen.

In Paris, wo er auch nach Ende des Ersten Weltkriegs blieb, lernte Porter seine Frau Linda kennen. Linda Lee Thomas stammte aus vornehmer Familie, hatte in erster Ehe reich geheiratet, war intelligent, hinreißend schön, überaus kultiviert und eine souveräne Gastgeberin. Man hielt sie für unnahbar und blasiert. Für einen jungen Mann, dem die Welt als eine Auster erschien, der man ihre Perle abringen wollte, mochte sie als ideale Partnerin erscheinen. Indes, Porter war homosexuell.

In ihrer Ehe waren sie wohl eher verschworene Komplizen als Liebende. Die Verläßlichkeit der Beziehung zeigte sich, als Porter sich 1937 beide Beine bei einem Reitunfall so kompliziert brach, daß sie im Verlauf der nächsten Jahrzehnte mehr als dreißigmal operiert werden mußten.

In den Augen der Öffentlichkeit vereinigte Porter in sich zwei extrem gegensätzliche Eigenschaften: er galt als Lebemann und zugleich als gewissenhafter Arbeiter. In fünfzig Jahren komponiert er fast 900 Lieder, für 25 Bühnenshows und beinahe ebensoviele Filme — und zum Amüsement seiner Freunde. Porter wurde nicht müde, seine Arbeitsbesessenheit nachdrücklich zu betonen. Er könne überall komponieren: im Fahrstuhl, beim Rasieren und selbstverständlich auch zwischen zwei langweiligen Tischnachbarn.

Edmund Wilson formulierte in einem Brief, was seine Zeitgenossen an Porter wahrscheinlich am meisten faszinierte: „So talentiert zu sein und so hart zu arbeiten, und das bei all dem Geld, das er hatte!“ Ein noch größeres Rätsel aber war, aus welch eiserner Selbstdisziplin er die Kraft, auch noch nach seinem Unfall unverdrossen weiterzuarbeiten, entband? Er verbrachte keinen einzigen schmerzfreien Tag nach diesem Unglück, sein Lebenshunger und seine Schaffenskraft blieben jedoch nahezu ungebrochen, auch nachdem ein Bein amputiert werden mußte.

Porter war ein milder Avantgardist im amerikanischen Musiktheater. Die Länge seiner Kompositionen sprengte oft genug den akzeptierten Rahmen von 48 Takten. In Stücken wie Begin the Beguine näherte er sich der Struktur einer klassischen Sonate, indem er — über mehr als 100 Takte hinweg — einzelne Motive und Sequenzen wiederholte und durchführte. Früher als die meisten seiner Zeitgenossen experimentierte er mit Jazzrhythmen: sein satirisches Ballett Within the Quota entstand einige Monate vor Gershwins Rhapsody in Blue.

Der Erfindungsreichtum seiner Melodien verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, daß er seinen Stil fernab des Broadway und der Tin Pan Alley (der New Yorker Songschmiede) gefunden und entwickelt hatte. Er zählte zu den am gründlichsten ausgebildeten Songschreibern seiner Generation. Während ein Richard Rodgers verdiente Erfolge feierte, ohne auch nur eine einzige Note schreiben zu können, erntete Porter die Früchte einer hervorragenden Ausbildung, die er an der Harvard School of Music und der Schola Cantorum in Paris erworben hatte. Dort unterrichtete ihn Vincent d'Indy, ein strenger Klassizist mit ausgesprochener Abneigung gegen alles Populäre, in Kontrapunkt, Harmonie und Orchestrierung; vor allem machte er ihn jedoch vertraut mit der europäischen Kunstlied-Tradition, mit Schumann und Schubert.

Text und Musik bilden in seinen besten Songs ein kostbares Geflecht. Bisweilen mögen die Melodien zwar die Scharfzüngigkeit der Verse besänftigen. Porter machte sich die Gefälligkeit seiner Kompositionen aber zunutze, um Inhalte ins prüde Musicaltheater zu transportieren, die nachgerade subversiv waren.

Seine Texte konnten von provozierender Anzüglichkeit sein. Love for sale, eine unsentimentale Prostituierten-Ballade („Who will buy?/ Who would like to sample my supply?/ Who's prepared to pay the price/ For a trip to paradise?“) durfte — wie viele andere seiner Songs — jahrzehntelang nicht im Radio gesendet werden; die Bühnenfassung versuchte man nachträglich für den Geschmack des weißen Publikums dadurch zu entschärfen, daß man sie von einer Schwarzen singen ließ. Er war der erste Songschreiber, der Homosexualität ansprach und ironisch die neuesten Erkenntnisse der Sexualforschung (in Kiss me Kate) in seine Texte einarbeitete: „According to the Kinsey Report / Ev'ry average man you know / Much prefers to play his favorite sport / When the temperature is low.“

Oft genügten ihm jedoch nur nonchalante Andeutungen, die ähnlich funktionierten wie die Ellipsen in einem Lubitsch-Film — das Publikum konnte ohne Mühe erraten, wovon zwischen den Verszeilen die Rede ist. „No one knows“, dichtete er in I'm in love again, einem seiner frühesten Erfolge, „What a glimpse of paradise / Someone who's naughty / Showed to someone who's nice.“

Porter mag seine Broadwaykarriere als ein amüsantes Paradoxon begriffen haben. Er arbeitete in einem Medium, das genau die Wert- und Moralvorstellungen zu bewahren trachtete, die er für veraltet hielt und verspottete. „You've got that thing“, heißt es in einer seiner frivoleren Liebeserklärungen, „That makes book-censors enjoy their books.“ Die Titel Let's misbehave und Let's do it gerieten ihm zu Hymnen auf die Libertinage, als in den USA noch das restriktive Klima der Prohibition herrschte.

Wie aktuell Porters Texte und Musik sind, zeigte im letzten Jahr Red, Hot and Blue, ein Aids-Hilfe- Sampler, in dem Gruppen wie Neneh Cherry, die Neville Brothers und gar die Jungle Brothers Porter-Songs covern. Porter hatte es schon sehr früh gewagt, sein Publikum mit einer erfrischend aufgeklärten Sicht der Liebe zu konfrontieren. Er ist der große Skeptiker unter den Musicaldichtern. Seine Figuren scheinen es als selbstverständlich hinzunehmen, daß Liebesaffären nur kurzlebig und Partner austauschbar sind. Sie vertrauen dem Vergnügen, sie genießen die flüchtigen Gefühle: „What a swell night this is for romance / You can hear Mother Nature murmuring low / 'Let yourself go!‘“ Ein geradliniger Liebessong wie das zuckersüße Duett True Love dürfte keine Herzensangelegenheit Porters gewesen sein. Ihn passionierten die zarten Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

Perfidien. In einem seiner berühmtesten Lieder legt er den großen Liebenden der Welt- und Literaturgeschichte Phrasen von ausgesuchter Gleichgültigkeit in den Mund: „As Columbus announced when he knew he was bounced, 'It was swell, Isabelle, swell' / As Abelard said to Héloise, 'Don't forget to drop a line to me, please‘ / As Juliet cried in her Romeo's ear, 'Romeo, why not face the fact, my dear?‘ / It was just one of those things...“

Eine gewisse Melancholie ist nicht zu leugnen. Häufig setzen seine Liebenden voraus, nicht in gleicher Weise zurückgeliebt zu werden. Die Liebe wird — am schönsten hat er das vielleicht in I've got you under my skin ausgeführt — zum Verlangen, dem sich die Figuren fast schon resigniert und mit ironischer Distanz ergeben. Selten nur erlauben sie sich Selbstmitleid oder gestehen wirkliche Verletzlichkeit ein. Seine idealen Interpreten waren deshalb immer Sängerinnen und Sänger mit darstellerischen Qualitäten, die ihre Figuren über mehrere Strophen hinweg entwickeln und modulieren konnten, und die ihrem Publikum den Blick unter die Oberfläche der Porterschen Gelassenheit öffnen: „Should I order cyanide / Or order champagne?“, fragt sich ein Verliebter in Can Can.

Diese souveräne Mehrdeutigkeit ermöglicht auch den verblüffenden Interpretationsspielraum seiner Lieder. Wenn Frank Sinatra das immergleiche Rätsel What is this thing called love? als elegische Ballade beschwört und Charlie Parker dem gleichen Titel die aufgekratzte Vitalität des Bebop verleiht, wenn Ella Fitzgerald Get out of town als wehmütige Liebesklage singt und Lena Horne als schneidende Drohung, dann sind all das gleichermaßen gültige Interpretationen. Bei Cole Porter steht das Liebesleid in Dur und das Liebesglück in Moll.