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ZUHAUSE DOCH FREMD„Avantgardistisches Ämtchen“

Mit einem Low-Budget kümmern sich 14 Mitarbeiter um Integrationsprogramme, beraten AusländerInnen und organisieren Veranstaltungen. Einen Tag im Frankfurter Amt für multikulturelle Angelegenheiten verbrachte  ■ KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Der ehrenamtliche Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt am Main, Daniel Cohn-Bendit, ist ein liebenswert-narzistischer Rezitator seiner eigenen Bonmots: „Unser Amt ist avantgardistisch klein und avantgardistisch billig.“ Mit diesen knappen Worten charakterisiert der 68er-Veteran „Dany le Rouge“ den Zustand seiner unikaten Behörde in der Barckhausstraße im Bankenviertel. „Klein“ ist das „Multikulti“-Amt in der Tat: In doppelt paritätischer Besetzung – Frauen/Männer sowie Inländer/Ausländer – arbeiten gerade einmal 14 Menschen fest angestellt im zweiten Stock eines städtischen Behördenhauses.

Und auch „billig“ kommt Frankfurts Steuerzahler das erste Derzernat, das sich ausschließlich mit den Belangen ausländischer Bürgerinnen und Bürger beschäftigt: Nur 2,5 Millionen DM beträgt der Etat für das Haushaltsjahr 1991. „Den werden wir nicht einmal aufbrauchen, denn wir wirtschaften sparsam“, sagt Irene Katheeb, Öffentlichkeitsreferentin und Seele des „Ämtchens“, wie sie es nennt. Das „grüne Dezernat“, in dem aber nur Cohn-Bendit und Katheeb Mitglieder der Grünen sind, will nämlich die Befürchtung widerlegen, es gehe hier ums „Geldabzocken“ für die Klientel ihrer Partei.

Daß das Ämtchen auch avantgardistisch ist, versteht sich nicht nur deshalb, weil Cohn-Bendit seit jenen heißen Tagen der Studentenrevolte in Berlin, Frankfurt und Paris der selbst- und fremdernannten Avantgarde der Bundesrepublik angehört. „Wir sind eben einmalig in Deutschland“, kommentiert Katheeb nicht ohne Stolz die karge Einlassung ihres Dezernenten. Die Männer und Frauen im Amt für Multikultur haben sich ihre Aufgabenfelder erst erarbeiten müssen. Und sie feilen bis heute am inhaltlichen Konzept und an der praktischen Ausrichtung der Behörde.

Daß es in dem seit dem 5. April rot-grün regierten Bundesland Hessen demnächst ein Multikulturbüro auf Landesebene nach dem Muster des Frankfurter Amtes geben wird, ist für Katheeb ein Beleg für die Avantgardefunktion der Behörde – auch wenn Cohn-Bendit mit seiner Rolle als Avantgardist der Vergangenheit vor dem Publikum gerne kokettiert. Über dem Schreibtisch des Stadtrates hängt ein Häuserkampfplakat der „Roten Hilfe“ aus dem Jahre 1972, auf dem Schreibtisch liegt ein Pflasterstein aus Schaumstoff und im Regal findet sich die Mütze eines sowjetischen Panzergrenadiers. Nostalgie.

Heute kommt der rundlich gewordene Dezernent mit den roten Locken umweltfreundlich mit dem Fahrrad und einem lila Rucksack auf dem Rücken zur Dienstbesprechung. An anderen Tagen hat er auch schon mal seinen einjährigen Sohn Bela im Schlepptau, dem er in seinem Büro eine Krabbelecke eingerichtet hat. Am großen Tisch im Dezernentenbüro mit dem Fluidum eines Zahnarztwartezimmers warten die engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon auf den Chef.

An diesem Dienstag in der zweiten Maiwoche wird die Veranstaltung Multikultur in der Stadt vorbereitet, ein Gemeinschaftsprojekt von Europarat und Multikulturamt Frankfurt. „Nervt mich nicht mit kleinen Problemen“, weist ein hektischer Cohn- Bendit seine Crew gleich zu Sitzungsbeginn in die Schranken – die Anzahl der Hostessen, das Organisieren von Fahrzeugen oder Protokollfragen beim Empfang mehrerer europäischer Bürgermeister sind für ihn kein Thema. Den Dezernatsleiter interessieren die „großen Würfe“, denn „das andere hat zu funktionieren“. Mit dem Protokoll, bescheidet der Politiker knapp, gehen wir „klassisch“ um. Die Frankfurter Thesen, die zum Abschluß des Kongresses verabschiedet werden sollen, die will der Dezernent allerdings selbst formulieren. Eine gemeinsame Erklärung zur „Kommunalen Migrationspolitik“ soll von Frankfurt aus in die Welt gehen, einer Stadt, in der jeder vierte Einwohner keinen deutschen Paß besitzt.

Wie aber sieht die kommunale Migrationspolitik in Frankfurt en detail aus – jenseits der großen (Ent-)Würfe vom friedlichen, in wechselseitigem Respekt getragenen Zusammenleben verschiedener Kulturen und Lebensanschauungen in einer Metropole der Zukunft? „Harte Arbeit am Einzelfall“ ist ihr täglich Brot, sagt die mit einem Palästinenser verheiratete Diplomsoziologin Irene Katheeb, Mutter von zwei Kindern. Die Arbeit an ideellen Zukunftskonzepten bleibt dabei oftmals auf der Strecke. Die 40jährige Referentin ist eine kluge, resolute Frau, ausgestattet mit einer gehörigen Portion britischen Humors. Die Euphorien des Dezernenten kontert sie gern mit trockenen, sachlichen Argumenten und verweist auf das Machbare. Katheeb ist, nach sieben Jahren Assistenzarbeit bei den damals noch streitsüchtigen Grünen im Frankfurter Römer, ein Multiorganisationstalent.

Ein zweites Mal geflohen – aus den neuen Bundeländern

Wenn im Ämtchen um 9 Uhr die Türen aufgeschlossen werden, stehen die Hilfesuchenden meist schon auf der Matte. An diesem Dienstag meldet sich zuerst eine iranische Familie, die aus einem Lager für Asylbewerber in einem der neuen Bundesländer zurück nach Hessen geflohen war. Der Vater berichtet, daß sie im Osten von fanatisierten Jugendlichen geschlagen worden sind. Sie werden zu Maryam Ghaffari „geschleust“ (Katheeb), die fließend Persisch, Paschtun, Türkisch, Englisch und Deutsch spricht. Eigentlich ist das Team für diesen Fall nicht zuständig, denn die Rückflüchtlinge aus den neuen Bundesländern, deren Zahl in den letzten Wochen stark angestiegen ist, haben sich zunächst in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Schwalbach im Main-Taunus-Kreis zu melden. Doch dort werden die Flüchtlinge in der Regel abgewiesen, „wenn sie keine sichtbaren Verletzungen vorweisen können“, erzählt Irene Katheeb. Die Sachbearbeiterin Ghaffari organisiert eine Notunterkunft in Frankfurt für die iranische Familie. Und Irene Katheeb telefoniert mit dem hessischen Sozialministerium, mit dem Sammellager in Schwalbach und mit einem Arzt, denn die iranische Mutter hatte im Osten einen psychischen Schock erlitten.

Mehr als 100 Flüchtlinge aus den neuen Bundesländern haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes in den vergangenen Wochen teilweise rund um die Uhr betreut – ein zeit- und arbeitsintensives Engagement, das nicht eingeplant war, dessen Notwendigkeit aber von niemandem in Frage gestellt wird: „Da muß man halt auch schon mal samstags ran.“ Das „Schleusen“, also Weitervermitteln von Rat- und Hilfesuchenden Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zählt das Team zu seinen „vornehmsten Aufgaben“. Ein drogenabhängiger, junger Türke bekommt an diesem Vormittag einen Termin bei einer Drogenberatungsstelle vermittelt. Eine Kurdin, die sich von ihrem Mann trennen möchte, weil der mit Gewalt seine Partnerschaftsprobleme lösen will, wird zur Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF) geschickt. Und ein freundliches Wort haben alle Beschäftigten im Multikulturamt für die Ausländerinnen und Ausländer übrig, die den Weg hergefunden haben. „Wir sind doch nicht das Ausländeramt“, heißt es hier. Doch auch mit dem ungeliebten Ausländeramt der Stadt haben sie sich inzwischen arrangiert. Dort habe man registriert, sagt Irene Katheeb, „daß bei uns keine Oberlehrer sitzen und Noten verteilen, ob sich ein Sachbearbeiter aus einer anderen Behörde rassistisch verhalten hat oder nicht“. Und so kommt es schon einmal vor, daß das Ausländeramt einen, dem die Abschiebung droht, zum Multikulturamt schickt – „und nicht gleich in Handschellen zum Flughafen“.

Im Multikulturamt selbst stehen Spezialisten für die Beratung ausländischer Studenten und Arbeitnehmer bereit. Es gibt eine Kontaktperson für die Zusammenarbeit der Behörde mit den Vereinen und Initiativen in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit. Und der Iraner Saeed Yussef ist der Mann für „kulturelle Angelegenheiten“, der am Tage der deutschen Einheit 1990 den Tag der deutschen Vielfalt organisierte – ein multikulturelles Fest auf der Konstablerwache, zu dem 15.000 deutsche und ausländische Bürgerinnen und Bürger der Stadt kamen, um wechselseitig Solidarität zu demonstrieren.

„Hey, Freunde, geht wählen!“

Der Tag im Amt für Multikultur ist ausgefüllt. Und eine kleine Lücke im Terminkalender schließt Irene Katheeb mit einer Recherche nach dem Verbleib einer türkischen Mutter, die ihren halbwüchsigen, delinquenten Sohn mit einem Küchenmesser gegen Polizisten verteidigte, als sie ihren Jungen festnehmen wollten. „Man muß sich um die Frau kümmern“, entscheidet Irene Katheeb, die von dem „Fall“ aus der Lokalzeitung erfuhr. Nach einer Viertelstunde am Telefon hat sie den Aufenthaltsort der Frau ermittelt: Sie ist nach einem Nervenzusammenbruch in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Maryam Ghaffari soll sofort in die Klinik fahren, denn „das muß eine Frau machen“. Man wird der Türkin „Hilfestellung“ anbieten, nicht aber aufdrängen. Nach der Mittagspause führt Irene Katheeb ein langes Gespräch mit dem „Soulbrother“ von Fußballstar Antony Yeboha von der Frankfurter Eintracht, dem Vorsitzenden der Vereinigung der Ghanaer in Deutschland, James Amoha. Der ausländische Sympthieträger Yeboha soll auf einem Plakat des Ämtchens für die anstehenden Wahlen zum Ausländerbeirat der Stadt werben. Und weil der „Soulbrother“ bei Yeboha mehr zu sagen hat als der Präsident der Eintracht, spricht Katheeb lieber gleich mit Amoha. Der findet die Idee „ausgezeichnet“ – und so wird der schwarze Stürmer demnächst von Tausenden Plakaten herab die Ausländerinnen und Ausländer der Stadt in die Wahllokale treiben: „Hey Freunde, geht wählen!“

Danach bereitet Katheeb eine Rede für ihren Stadtrat vor, der am Nachmittag in Wiesbaden mit der Sozialministerin Iris Blaul verhandelt, wie die künftige Multikulturbehörde auf Landesebene aussehen soll. Im Ämtchen geht unterdessen die Einzelfallberatung weiter – und ein kleines Team arbeitet hinter einer verschlossenen Tür an einem „multikulturellen Ratgeber“. Flächendeckend soll er an die Haushalte der ausländischen Bürgerinnen und Bürger Frankfurts verteilt werden. Auch die Islam- Broschüre, mit der das Amt – im Zuge des Golfkrieges – auf die Schwierigkeiten der Migranten moslemischen Glaubens aufmerksam machen wollte, ist noch immer in Arbeit: „Wir haben einfach zuviel aktuelle Probleme zu bewältigen – und täglich kommen neue hinzu“, klagt die Öffentlichkeitsreferentin.

Die Vorwürfe verschiedener ausländischer Vereinigungen der Stadt, daß im Amt in der Barckhausstraße zuwenig konzeptionell gearbeitet werde, hält sie deshalb für „teilweise gerechtfertigt“. Allerdings, setzt sie dagegen, hat man vor Ort täglich darüber zu entscheiden, ob man seine Arbeitszeit einem konkreten, akuten „Fall“ widmet, oder ob man – „wie andere Behörden“ – stur nach Plan arbeitet und die hilfesuchenden Menschen vertröstet. Daß das Amt in seiner gegenwärtigen Struktur an der Kapazitätsgrenze arbeitet, steht außer Zweifel. Die mittelfristigen konzeptionellen Aufgaben im Bereich Migrationsarbeit sind formuliert: Ein Integrationskonzept soll erstellt und eine Untersuchung über die Wohnverhältnisse der Migranten durchgeführt werden. Ein Fortbildungskurs Antidiskriminierung für Polizisten und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung ist in Arbeit, und eine Diskussionsreihe mit dem Titel Das Eigene und das Fremde in Vorbereitung. „Der Erwartungsdruck auf die Behörde“, berichtet Irene Katheeb, „steigt mit jedem Tag ihrer Existenz“. Doch im letzten Jahr ist auch die Akzeptanz des Amts durch die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger gestiegen: „Die Frankfurterinnen und Frankfurter – Deutsche und Zugewanderte ohne deutschen Paß – haben sehr schnell verstanden, daß wir für alle da sein wollen. Wir erfüllen eigentlich die klassische Funktion einer Ombudsstelle.“ Als Irene Katheeb weiterreden will, steht ein Türke mit der Mütze in der Hand in der offenen Tür. Das Ordnungsamt wolle seinen Kebab-Grill im Gallus schließen. Katheeb bietet ihm einen Stuhl an... Und das Telefon klingelt pausenlos.

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Redakteur im Frankfurter Büro der taz.

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