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Frankfurter Schlaftabletten

„Hessen Report“, das private Regionalfenster von RTL/TELE-F.A.Z./ Besinnlichkeit nach Feierabend  ■ Von Reinhard Mohr

Noch vor wenigen Jahren tobte im damals wie heute rot-grün regierten Hessen ein heftiger Streit um die Frequenzzuteilung für private Rundfunk- und Fernsehprogramme. Die Befürchtung, Kommerzsender könnten das bekannt hohe Reflexionsniveau der Fernsehzuschauer zwischen Kassel und Groß-Gerau beleidigen und die öffentlich-rechtlichen Anstalten zwingen, ihrerseits unter der intellektuellen Gürtellinie zurückzuschlagen, trugen noch einmal zu einer Reminiszenz an die ideologischen „Kulturkämpfe“ der siebziger Jahre bei. Heute ist davon nur noch der Rechtsstreit über einen Namen übriggeblieben: Der Hessen Report, seit dem 15. November letzten Jahres als sechstes „Regionalfenster“ des Privatsenders RTLplus fünfmal pro Woche ausgestrahlt, soll nicht Hessen Report heißen. Das meint jedenfalls der Hessische Rundfunk (von der ARD), der eine Verwechslung mit seiner Hessenschau befürchtet.

Nach einem guten halben Jahr Hessen Report steht allerdings — jenseits juristischer Wahrheitsfindung — eines mit Gewißheit fest: Eine Verwechslung ist ausgeschlossen. Dafür bürgt schon der Auftragsproduzent des Regionalmagazins, die TELE-F.A.Z., eine hundertprozentige Tochter der 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ GmbH. Täglich von 18 Uhr bis 18.45 Uhr ist sie, von „Werbeinseln“ unterbrochen, „am Puls der Menschen in Hessen“ (Chefredakteur Jörg Hoffmeister). Rasch hat sich herausgestellt, daß die Pulsfrequenz der Hessinnen und Hessen offfenbar kurz vor dem Einschlafen gemessen wird. So urteilte bereits nach zwei Wochen beharrlichen Zuschauens ein Kritiker der 'epd/Kirche und Rundfunk‘, auch nicht gerade ein Punkerblatt der Medienavantgarde: „Wer noch immer meinte, Privatfernsehen sei das Tollhaus der leicht dämlichen Fröhlichkeit, wird hier eines Besseren belehrt. ,Hessen Report‘ zu sehen, beschert immer eine besinnliche Stunde. Das Magazin wirkt wie ein Museumsstück aus vergangenen Fernsehepochen.“

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch die Frage, wer sich eigentlich auf was besinnen soll, verschwindet nach wie vor in der unergründlichen Tiefe der tarnfarbenen Studiodekoration. Selbst hartgesottene Konservative, die in Leserbriefen an die 'FAZ‘ mit Vorliebe die Machenschaften des öffentlich- rechtlichen „Rotfunks“ anprangern, schalten lieber die Hessenschau auf HR3 ein.

Dort sorgen ein Mindestmaß an Professionalität, Themenauswahl, Recherche und Präsentation dafür, daß das Ende der Sendung noch in wachem Zustand erlebt weden kann. Beim Hessen Report dagegen stellt sich schon nach wenigen Minuten ein tranceartiges Abdriften ein, das jeder aus dem Biologieunterricht kennt, wo die Dokumentarfilme über das Liebeswerben der Zugvögel, von der Landesbildstelle ausgeliehen, pflichtgemäß abgespult wurden.

Pflicht statt Kür: Die beiden Moderatorinnen des Hessen Report umgibt wie den Sportredakteur und die Nachrichtensprecher eine Aura fast melancholischer Ernsthaftigkeit, die sich von Seriosität nur durch ihre Gegenstandslosigkeit unterscheidet. Die täglich präsentierten sieben bis acht Themen wirken trotz ihrer Aktualität wie zeitlose Vignetten. Ob über die Idee nordhessischer Bauern berichtet wird, „Landwirtschaft zum Anfassen“ zu propagieren, ob die ZuschauerInnen von 30 bayerischen Traditionsvereinen mitten in Hessen erfahren, ob es um 100 Jahre IG Metall, die neuen ICE der Bundesbahn, den bedrohten Bahnbusverkehr im Dill-Kreis oder die frisch gewählte Apfelweinkönigin geht, stets entfaltet sich die Atmosphäre einer unbegreiflichen Gleichgültigkeit, die gediegene Langeweile eines schläfrigen Sonntagnachmittags im November.

Der Bilderreigen aus dem hessischen Alltag zwischen Politik, Kultur und Volkstümlichkeit ist ohne jede Dramaturgie, so wie die einzelnen Beiträge ohne Pointe sind. Selbst konfliktträchtige Themen flimmern als im Grunde unverständliche Elemente einer exterritorialen Sphäre ins Heim.

Diese schwerelose Sanftheit setzt sich in jenen „Dienstagsgesprächen“ fort, zu denen der zuständige 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘-Herausgeber Hugo Müller-Vogg höchstpersönlich VertreterInnen aller Parteien — auch der Grünen — ins Studio bittet.

Während er in 'FAZ‘-Kommentaren, vornehmlich gegen „roten“ oder rot-grünen Filz wetternd, durchaus Wadenbeißerqualitäten entwickelt, serviert er im Fernsehinterview seine fragenden Stichworte als verständnisvoller Gesprächspartner, der vor nichts soviel Angst hätte, als mit unangenehm direkten Gegenfragen konfrontiert zu werden. Journalistisches „Nachhaken“ und Insistieren, auch sonst keine Tugend im deutschen Fernsehen, hier ist es so verpönt wie die hartnäckige, zuweilen eben auch hemdsärmelige Recherche. Denn gerade der „Skandaljournalismus“, wie er den ARD-Magazinen inklusive Hessenschau vorgeworfen wird (und den Spiegel-TV bei RTL erfolgreich betreibt), ist der negative Bezugspunkt, von dem man sich positiv abheben möchte. Doch das Medium bestraft den, der es zu gut meint.

Wer in einem Regionalmagazin, das sowieso mit dem Ruf zu kämpfen hat, die moderne Form von Dorftratsch und amtlicher Bekanntmachung zu verkörpern, stets den Gesamteindruck einer positiven — hessischen — Welt zu vermitteln sucht, der landet geradewegs in der Tristesse, die er schließlich um jeden Preis vermeiden will.

Trotz des hessisch babbelnden Affen „Wetter-Bobby“ setzt in weiten Teilen des Vorhersagegebiets ab 18Uhr leichte Depressionsanfälligkeit ein, bis um Punkt 18.45 Uhr die Hauptnachrichtensendung von RTLplus wie eine Bombe im Wohnzimmer einschägt: Chaos, Kämpfe, Katastrophen. Das pralle Leben eben. Nach der Veröffentlichung neuester Zahlen durch die „Infratest Kommunikationsforschung“, die 80.000 tägliche ZuschauerInnen des Hessen Report ermittelt hat (die Hessenschau um 19.20 Uhr sehen im Schnitt etwa 300.000) sprach TELE- F.A.Z.-Chefredakteur Hoffmeister von einem „ermutigenden Signal“. Die Redaktion sehe sich dadurch bestärkt, „ihre Präsentation beizubehalten“.

In der Kölner RTL-Zentrale dagegen beobachtet man „die Frankfurter Schlaftabletten“ mit wachsendem Stirnrunzeln.

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