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KOMMENTARENeue alte Fronten

■ Mit der Trennung der Gefangenen wäre eine neue RAF-Generation programmiert

Wenn es stimmt, daß die Trennung der Gefangenen der RAF „beschlossene Sache“ ist, dann hat einmal mehr die Fraktion in Sicherheitsapparat und Politik die Oberhand gewonnen, die aus zwanzig Jahren dieser blutigen Auseinandersetzung nichts gelernt hat. Wenn es stimmt, daß die Gefangenen wieder voneinander isoliert werden sollen, dann sind die dafür Verantwortlichen im Begriff, die vierte RAF-Generation zu zeugen. Wenn es stimmt, daß die bevorstehende Haftverschärfung damit begründet wird, die Gefangenen in Kleingruppen hätten die „Erwartungen enttäuscht“, dann tendiert die Analysefähigkeit der Verantwortlichen tatsächlich gegen Null.

Erstens: Die Zusammenlegung hat bisher nicht stattgefunden. Einige Länder haben sich nach dem Hungerstreik vor zwei Jahren lediglich zu einer begrüßenswerten Zusammenführung weniger Häftlinge durchgerungen. Ein Experiment kann nicht scheitern, bevor es durchgeführt wird. Zweitens: Das primäre Argument der staatlichen Verfechter einer Zusammenlegung war nie, daß dann die Gefangenen politisch „zu-Kreuze-kriechen“. Zentrales Argument des Hamburger Verfassungsschützers Lochte und anderer war immer, damit eine Rekrutierung über die „Isolationsfolter“ aus der Welt zu schaffen. Drittens: Auch vom Staatsschutz werden heute jene Inhaftierten als Wortführer einer starren Haltung eingestuft, die bisher am wenigsten oder überhaupt nicht von der Kleingruppenregelung profitiert haben. Nachdenkliche, die bisherige RAF-Politik nuancierende Äußerungen stammen von jenen, die entweder in Dreier- oder Vierergruppen zusammen sind oder noch nicht zehn oder mehr Jahre von ihren Freunden isoliert. Viertens: Die Zusammenlegung war nicht — und darf auch in Zukunft nicht — an Bedingungen geknüpft werden. Etwa an die einer verbalen Abkehr vom bewaffneten Kampf. Die Gefangenen müssen die Möglichkeit erhalten, mit offenem Ende zu diskutieren. Fünftens: Daß sie dabei an ihre Freiheit denken, ist selbstverständlich und sogar hilfreich. Sie werden früh genug einsehen, daß die Chancen auf ein Leben nach dem Knast mit einer blutigen Befreiungsaktion praktisch zu Ende wären. Sechstens: Daß Häftlinge über einen neuen Hungerstreik nachdenken, resultiert daraus, daß die Zusammenlegung — für sie enttäuschend — in den Anfängen steckengeblieben ist. Ihnen war am Ende des letzten Streiks von 1989 mehr avisiert worden, etwa eine größere „Männergruppe“ in Berlin.

Der Staatsschutz muß wissen, was er tut. Später klage niemand, wenn die Frequenz der Anschläge wächst. Die Gefangenen müssen wissen, daß die Morde an Herrhausen und Rohwedder und der Anschlag auf Neusel die Chancen eines liberalen Echos auf einen neuerlichen Hungerstreik — im Gegensatz zu 1989, als es lange keinen tödlichen Anschlag gegeben hatte — auf lange Zeit unwiderbringlich zerstört haben. Es muß verhandelt werden. Gerd Rosenkranz

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