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Staatenbund oder Bundesstaat

Bei Verhandlungen über die zukünftige Staatsform Jugoslawiens kommt es zu ersten Annäherungen/ Ihre Gegner stehen auf zwei unterschiedlichen Seiten der Barrikaden: Serbien und Slowenien  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Bei einem neuen Krisengipfel der sechs jugoslawischen Republikpräsidenten über die Neuordnung des zerfallenden Vielvölkerstaates gab es am Mittwoch abend einen ersten Kompromiß: Auf der Basis eines Vorschlags von Mazedonien und Bosnien soll diskutiert werden, wie der Balkanstaat zu einem „Bund souveräner Staaten“ innerhalb der derzeitigen Grenzen umgewandelt werden könne. Demnach müßten Slowenien und Kroatien ihre für Ende Juni angekündigten Souveränitätserklärungen „abschwächen“ und der „serbische Block“, der bisher an einem bundesstaatlichen Status quo festhielt, allen Republiken eine „bedingte“ eigene Außen-, Wirtschafts- und Verteidigungspolitik zugestehen.

In ersten Reaktionen zeigten sich die elektronischen Medien Jugoslawiens überrascht. Nun, so hieß es, müsse gerätselt werden, weshalb die Spitzenpolitiker nach fünf gescheiterten Verhandlungsrunden endlich wieder eine gemeinsame Sprache gefunden hätten. Wollten sie etwa gar mit Blick auf den Verhandlungsort ihrem Land kein zweites „Sarajewo“ bereiten? Oder hatte der hohe EG- Besuch der letzten Woche, bei dem die Gäste Delors und Sanders erneut unterstrichen, daß nur einem vereinten Jugoslawien wirtschaftliche und politische Unterstützung zugesprochen werden könne, zum Nachdenken und Nachgeben angeregt? Fragen, über die die Öffentlichkeit des Landes im unklaren gehalten wurde. Nach dem Spitzengipfel gingen die angereisten Journalisten nämlich leer aus. Eine angesetzte Pressekonferenz wurde in letzter Minute abgeblasen, und nur der Gastgeber, der bosnische Präsident Alija Izetbegovic, verlas eine kurze Erklärung. Darin wird in vier Punkten der Kompromiß festgehalten. Zum einen wolle man auf der Grundlage des bosnisch-mazedonischen „Kompromißplanes“ und nicht entsprechend der „extremen“ Vorstellungen Serbiens auf der einen und Sloweniens und Kroatiens auf der anderen Seite weiterverhandeln. Als zweiter Punkt wurde angeführt, daß wegen der Dringlichkeit der Nationalitätenprobleme intensive Sondergespräche zwischen den unmittelbaren Konfliktparteien geführt werden sollen. Drittens könne die Blockierung des Staatspräsidiums durch die Anerkennung der Wahl des Kroaten Stipe Mesic beendet werden.

Daß das jetzt akzeptierte Programm für die Politiker monate-, wenn nicht jahrelange Arbeit bedeute, diese Meinung vertritt nicht nur der Kommentator des Fernsehens in Ljubljana, sondern auch die überwiegende Mehrheit der slowenischen Bevölkerung. Solange jedoch will sie auf keinen Fall warten, nicht zu Unrecht reagiert sie mißtrauisch. Präsident Milan Kucan verzichtete nach seiner Rückkehr aus Sarajewo dann auch auf einen öffentlichen Auftritt, ebenso wie alle anderen Spitzenpolitiker geht er kritischen Fragen nach den Ergebnissen der Gesprächen am liebsten aus dem Weg. Intensiv diskutiert wird nun vor allem die Frage, warum Stipe Mesic nicht gleich am Verhandlungsort als neues Staatsoberhaupt vereidigt wurde. Damit hätte endlich ein Zeichen der Versöhnung gesetzt werden können, schließlich waren es genau jene Spitzenpolitiker die durch ihre Unfähigkeit einen Präsidenten zu wählen, die jugoslawischen Krise weiter angeheizt hatten.

Außer der fortdauernden Verfassungskrise ist auch unklar, inwieweit das Arbeitspapier mehr als ein bloßer Wunschzettel, dessen Realisierung unmöglich ist, sein kann. Denn um den „extremen“ Seiten entgegenzukommen, soll „zweigleisig“ gefahren und dem Rechnung getragen werden, was sich sowohl die „Föderalisten“ als auch die „Konföderalisten“ wünschen. So wird eine Außenpolitik der einzelnen Republiken und des Gesamtstaates parallel geplant. Einerseits denkt man an einen einheitlichen Wirtschaftsraum, andererseits an eigene Republikwährungen. Der brisanteste und undurchsichtigste Punkt ist jedoch: als Zeichen der Souveränität soll jede Republik neben der weiterbestehenden Bundesarmee eigene Streitkräfte aufbauen können.

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