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Gericht knipst Obrigheim wieder an

Bundesverwaltungsgericht gibt AKW-Betreibern und Landesregierung recht/ Schrott-Reaktor hat demnach die atomrechtliche Genehmigung auch ohne Abschluß für den Dauerbetrieb  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) — „Grünes Licht“ für den vorübergehend stillgelegten Atommeiler in Obrigheim hat gestern das Bundesverwaltungsgericht erteilt. Die dem ältesten Atomkraftwerk der Republik bereits 1968 erteilte Genehmigung für den Anfahr- und Probebetrieb sei in der Zwischenzeit nicht abgelaufen, entschieden die Richter. Es fehle zwar eine Schlußgenehmigung für den Dauerbetrieb, so die Begründung, eine Entscheidung darüber müsse jedoch von den Aufsichtsbehörden getroffen werden. Das Gesetz bestimme nicht, was ein Probebetrieb sei und wann er ende. Dabei könnten sich die AKW-Anwohner auch nicht darauf berufen, daß der Uralt-Reaktor nach den heutigen Sicherheitsbestimmungen nicht mehr errichtet werden dürfte. Das Gericht hob damit das Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichts vom Mai 1990 auf. Die Mannheimer Richter hatten befunden, daß der 345-Megawatt-Pionierreaktor seit über 20 Jahren lediglich mit einem roten Nummernschild und ohne atomrechtliche Dauerbetriebsgenehmigung laufe — sie waren nicht der Argumentation der Landesregierung gefolgt, die die Summe der erteilten Teilgenehmigungen für ausreichend ansahen. Zwei Tage nach dem Mannheimer Urteil ließ der damalige Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) den Reaktor einstweilen ausknipsen; die Landesregierung zog gemeinsam mit den Kraftwerksbetreibern vor das Berliner Bundesverwaltungsgericht.

Im zuständigen Umweltministerium wurde das Urteil als Bestätigung der behördlichen Rechtsauffassung gewertet. Dort wird davon ausgegangen, daß die unfreiwillige Stillegung mit dem Urteil hinfällig ist und der Reaktor wieder ans Netz gehen kann, wenn die derzeit laufenden Überholungs- und Revisionsarbeiten abgeschlossen sind. Ob und in welcher Form eine abschließende Dauerbetriebsgenehmigung erteilt wird, soll erst nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung entschieden werden. Ein Sprecher der Energieversorgung Schwaben (EVS), des größten Betreiber-Gesellschafters, erklärte, das Atomkraftwerk solle in fünf bis sechs Wochen in Betrieb genommen werden.

Die Verlierer der juristischen Auseinandersetzungen sind die örtlichen Atomkraftgegner und die Landes-Grünen, die den verschlungenen Genehmigungsdschungel gelichtet hatten. Der Rechtsstreit geht dennoch weiter: Das Mannheimer Verwaltungsgericht muß noch darüber entscheiden, ob die Probebetriebsgenehmigung wegen Sicherheitsmängeln zurückgenommen werden muß. Und ob die Stromherren nach der einjährigen Zwangspause nun die Landesregierung mit den bereits angedrohten Schadensersatzansprüchen überziehen, ist ebenfalls noch offen.

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