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Am 1.Juli nützen schöne Worte nichts

■ Ausländische, von Abschiebung bedrohte Roma ließen sich auf dem Kirchentag nicht ausgrenzen

„Da wird ein menschenwürdiges Leben in Mazedonien versprochen, wie wollen Sie das garantieren? Sie schieben doch nur ab. Und nicht einmal das läuft ordnungsgemäß. Ohne Essen für die Kinder, ohne das Fläschchen für's Baby, ohne Papiere ist die Familie aus unserer Kirche geholt worden“, erzürnt sich Gertrud Golian aus Herscheid im Sauerland. Sie steht schon eine halbe Stunde vor der Bühne, jetzt kann die resolute Frau nicht mehr an sich halten: „Das ist die Realität! Darum muß sich die Kirche kümmern!“

Auch nach fast dreistündiger Debatte ist der große Druck, unter dem das Kirchentags-Forum „Im Dialog mit Sinti und Roma“ am Donnerstagabend stand, nicht gewichen. Im Gegenteil. „Ich bin“, steht ein älterer Mann auf und verschafft sich auch ohne Mikrophon Gehör, „ich bin als neutraler Zuschauer hergekommen. Jetzt sitze ich hier bei den Roma. Und wie sie will ich wissen: Werden sie in drei Wochen abgeschoben oder nicht?“ Beifall und Geschrei in der Bochumer Rundsporthalle. Dieser Abend ist der bisher turbulenteste dieses Kirchentags.

Denn der Versuch, den politischen Konflikt um Abschiebung oder Bleiberecht für Roma auf dem Kirchentag auszuklammern, ist gescheitert. Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma, der gemeinsam mit dem Kirchentagspräsidium das Sinti-Forum vorbereitete, hatte im Vorfeld darauf bestanden, nur über Probleme der deutschen Sinti und Roma zu reden. Dem Zentralratsvorsitzenden Romani Rose geht es um die Anerkennung der 70.000 Menschen starken Minderheit „als deutsche Volksgruppe“. Die Roma seien „kein heimatloses, nicht-territoriales Volk von Zwangsnomaden“, erklärt Rose. Sie fühlten sich in den Ländern zu Hause, in denen sie lebten.

Besonders diese Passage in Roses Referat sorgt am Donnerstagabend für Zündstoff. Mit Pfiffen und Buh- Rufen wird Rose von etwa 250 Roma unterbrochen. Sie kommen vorwiegend aus Nordrhein-Westfalen. „Romani Rose — Sie sprechen nicht im Auftrag der Roma!“ steht auf ihrem Transparent. Helmut Simon, der ehemalige Verfassungsrichter und Leiter dieses Abends, beschwört die Roma, ihre „internen Streitigkeiten“ zurückzustellen. Die Kirchentagsveranstaltung solle der Verständigung dienen: „Unsere gemeinsame Front ist die Mehrheitsbevölkerung mit ihren Vorurteilen.“

Doch die Kluft zwischen den ansässigen deutschen Sinti und Roma und den in jüngerer Zeit vorwiegend aus Jugoslawien und Rumänien eingereisten Roma ist tiefer, als daß sie sich als „interne Streitigkeit“ abtun ließe. Es ist der Konflikt zwischen den vergleichsweise gesicherten „Wessis“ und ihren armen Brüdern und Schwestern aus dem Osten, die nach dem neuen Ausländerrecht ab dem 1.Juli mit Abschiebungen rechnen müssen. Viele UnterstützerInnen versuchen derzeit, dieser Gruppe gegen Behördenschikanen, Geldentzug und Abschiebungen zu helfen. Kirchenasyl gehört zu den letzten Mitteln vor einer Abschiebung.

Gerade weil die Kirchentagsleitung ausgerechnet im Revier die Debatte um das Recht auf Einwanderung und Aufenthalt für Roma ausklammern wollte, gerät der „Dialog mit Sinti und Roma“ zu einem rein politischen Schlagabtausch. Das Thema beschäftigt die Region und die Landesregierung seit eineinhalb Jahren. Der Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, Minister Wolfgang Clement verteidigt erneut das sog. Reintegrationsprogramm der NRW- Landesregierung für jugoslawische Roma, das seit Monaten keinen Schritt vorankommt. Ein Bleiberecht für Roma gibt es nicht.

„Was geschieht in drei Wochen?“

Rita Süßmuth erklärt auf dem Podium, kein Flüchtling dürfe in ein Bürgerkriegsgebiet abgeschoben werden. Clement beeilt sich zu versichern: „Die Landesregierung wird niemanden in einen Slum schicken oder in ein Gebiet, wo Bürgerkrieg herrscht.“ Aber — die meisten in der Halle wissen es — die Landesregierung entscheidet ab dem 1.Juli nicht mehr darüber, ob eine Flüchtlingsgruppe abgeschoben wird oder nicht. Und die Bundesregierung hat entschieden, den Roma keine weitere Duldung zu gewähren. Clement umgeht diesen Punkt.

„Was also geschieht mit uns in drei Wochen?“ wollen immer wieder lautstark die Roma wissen. Einer ihrer Sprecher beschwört „die Menschenrechte auch für unser Volk“, bittet die „Christen, uns zu helfen“.

Das erste Forum für deutsche Sinti und Roma auf einem Kirchentag ist praktisch gescheitert. Zweifellos hat Roses Forderung, aus dem deutschen Völkermord an Sinti und Roma endlich die Konsequenzen zu ziehen, Entschädigungen zu leisten und dieser Minderheit in der Bundesrepublik besonderen Schutz zu gewähren, nichts an Bedeutung eingebüßt. Doch lassen sich mit ihr die Probleme der in den letzten Jahren als AsylbewerberInnen eingewanderten Roma nicht fassen. Die Haltung der EKD formulierte am Ende der fast vierstündigen Redeschlacht der Leiter der kircheninternen Sinti und Roma Arbeitsgruppe, Helmut Spengler aus Darmstadt: In einer demnächst erscheinenden Studie zu Sinti und Roma verlangt die Evangelische Kirche, daß niemand abgeschoben werden darf, der einem Volk, einer Religion oder einer Gruppe angehört, die die Nazis verfolgten. Und daß Angehörige von Minderheiten, die kein eigenes Territorium haben, Aufenthalts- und Bürgerrechte in Deutschland erhalten sollen. Bettina Markmeyer, Bochum

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