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In fünf Tagen um die Welt der taz

■ Streitkultur und Kulturstreit im tageszeitungs-Zelt auf der Breminale / Von A wie „Anfang“ bis Z wie „zu Ende“

Die Bee Gees sind nicht gekommen, aber die hatten wir auch gar nicht eingeladen. Nur für die, die etwas zu sagen, frech zu behaupten oder zu fragen hatten, die sich furchtbar und fruchtbar streiten wollten, stand ein Stuhl und ein offenes Mikrophon auf unserer kleinen Bühne im Redaktionszelt auf der Breminale.

Glasnost in der sowjetischen Clowns-Kultur? Georgie Soloviev, Artist der Leningrader Clown Corporation, berichtete am Mittwoch abend über seine neuen Arbeitsbedingungen seit Grobatschow, und der Dresdner Feuilletonist Heinz Knobloch hatte nach seinem Auftritt freundliche Löcher im Bauch. Daß wir ihn irrtümlich als „Hans Knobloch“ vorgestellt hatten, hat er uns gottlob nicht verübelt: „Bevor ich geboren war, sollte ich eigentlich erst Hans heißen.“

Unsere Außenstelle im blau- weißen Rundzelt war fünf Tage lang ein großes, rundes Gästezimmer. Am Donnerstag wurde es kurzfristig zur Garderobe für einige Musiker der Independent- Nacht. Hand aufs Herz und frei heraus: Mit der Unabhängigkeit der MusikerInnen ist es bei weitem nicht so frei bestellt, wie der Name der Musik vermuten läßt.

Ein großes Gästezimmer...

Und wieder Umbau in unseren knapp 60 Quadratmetern, die kurzfristig als Probe- und Demonstrationsraum des Zentrums für elektronische Musik (ZeM) genutzt wurden. Georg Sichmar streichelte die Maus seines PCs und produzierte die Grafik eines stirnhöhlenverstopften Niesers auf den Bildschirm, zerlegte sie mit sicherem Tastendruck in seine kurvenreichen Bestandteile und demonstrierte so die elektronische Kunst des Samplens.

Der Komponist Erwin Koch- Raphael, ebenfalls Mitgleid im ZeM, erklärte, was den Nieser zur Musik macht und stritt sich dann mit dem schwer- und wortgewichtigen Klavierprofessor Kurt Seibert bis die Mikrophone rauchten. Unser Kulturredakteur als Diskussionsdirigent hatte alle Hände voll zu tun, die Musikusse auf das Thema der Partitur zurückzuholen: Was eigentlich muß an Bremens Hochschule für Künste geschehen, damit sich die Fachbereiche nicht weiter gegenseitig die Blockflöten um die Ohren hauen?

Die Frage wurde nicht bis zum k.o ausgekämpft, und wahrscheinlich wird der fight an anderer Stelle neu aufgelegt. Im taz- Zelt ging es munter weiter um Vermarktung und Werbung, und da haben nicht nur wir besonders gut hingehört: Was die Strategen mit den großen Werbetöpfen so tagtäglich zusammenbrutzeln als Chefköche, rührten BSAG-Werbechef Wolfgang Pietsch und Krupp-Atlas PR-Fachmann Udo Brandes unter den Augen des Publikums zusammen, und am Ende war für jeden im wahrsten Sinne des Wortes ein Häppchen dabei.

Freitag, Tag der kreischenden Grenzen des Avantgarde-Rocks mit der Gruppe The Blech. Ergebnis: Avantgarde-Musiker musizieren lieber als daß sie reden, wobei die Frage offen bleiben mußte, welche Form der Kommunikation die verständlichere ist.

...für scharfe Zungen

Mit scharfer Zunge holten wir dann weit aus und wollten den dicke Wessels-Knoten durchschlagen, der das Ensemble des Ernst-Waldau-Theaters würgt. Chefdramaturg Rolf B. Wessels kämpfte gegen die bohrenden Fragen und Zahlen unseres Redakteurs Manfred Dworschak und unseres wahren Kolummnisten Ulrich Reineking-Drügemöller wie Don Quichotte gegen Windmühlen und ging erhobenen Hauptes aus der Arena in eine ungewisse Zukunft.

Und dann: Während sich bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen der Vorhang hob zur Lulu-Inszenierung von Peter Zadek, kam im taz-Zelt auf den Bremer Weserwiesen der kommende Generalintendant des Bremer Theaters, Hansgünther Heyme, auf die Bühne und entwarf vor dem begeisterten Publikum eine Skizze seiner künftigen Arbeit (s.S. 23).

Samstag, Tag der schillernden Persönlichkeiten. Was ein Bremer Vogelbiskuitfabrikant so alles zu sagen hat und wie er in gotisch das „Vater Unser“ rezitiert; ob Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach Angst vor Eierwerfern hat und ob er vielleicht in den fünf neuen Bundesländern arbeiten will; welche körperlichen Vorteile das regelmäßige Blutspenden für das Eheleben hat, wenn man den dreistelligen Literbereich überschritten hat; warum der Tee vor zweihundert Jahren den Ruf einer gefährlichen Droge genoß: Das alles war Thema auf dem taz-Podium.

Samstag, Tag der Wahrheit für den Verein Stadtradio, der sich mit Privatradiomachern von ffn und Radio 107 messen mußte: Was klingt besser über den Äther: Kommerz oder Konzept? (s.S.24)

Sonntag, Tag des weichen Anflugs auf den Teppich unserer Redaktion, aber noch haben wir ein paar Stunden Schicht im Außendienst. Das Fan-Projekt Werder Bremen stellt sein Konzept einer Ostkurve im Bremer Weserstadion vor und schimpft über die phantasielosen Funktionäre der Fußballverbände („Sitzen ist fürn'n Hermann“).

Kurz vor Ende unserer Veranstaltung dann ein journalistischer Glücksfund. Aus gutunterrichteten Quellen sickerte durch, daß die 5. Fußball-Herrenmannschaft des ESV Blau-Weiß im nächsten Jahr in der 8. Kreisklasse von der GaDeWe gesponsert wird. Echte Knaller zum Abschluß einer ereignisreichen Woche, was will man mehr? Markus Daschner

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