: Der Blickfänger im blutroten Himmelbett
■ Erfahrungen eines »männlichen Objekts«/ Bis Ende Juni posiert ein nackter Mann im »Laden für Nichts«
Kreuzberg. Eine TV-Sendung über Strip-Tänzer befand unlängst, daß sich das Bild vom »Jäger« (dem zuschauenden Mann), der seine Beute (die nackte Frau) vorführe, nicht umkehren lasse. Die Situation werde sogar unfreiwillig peinlich, wenn die Beute nunmehr ihren Jäger vorführe und sich dieser auch noch mit männlichem Imponiergehabe nackt vor weiblichem Publikum brüste.
Man sollte die Zur-Schau-Gestellten fragen. Ein »bezahltes Objekt« ist derzeit Gert (31) — ein ansehnlicher Mann, groß und kräftig, jedoch nicht zu muskulös, mit Sinnlichkeit suggerierenden Händen und kurzen, blond gefärbten Haaren. Fünf Stunden täglich ist sein nackter Körper im »Laden für Nichts« (Skalitzer/Ecke Zeughofstraße) zu betrachten, einem Geschäft, wo Frauen Dildos und erotische Postkarten kaufen können. Jeden Mittwoch bis Sonntag von 17 bis 22 Uhr posiert Gert in einem Himmelbett aus blutrotem Kunststoffsamt. Man sieht ihn schon von der Straße durch das Schaufenster. Wenn Kundinnen in den Laden kommen, wirft er ihnen, sich räkelnd, verheißungsvolle, schelmische Blicke zu. Er wird bestaunt, bekichert, beurteilt, von mancher gar angefaßt, von anderen übersehen, von einigen abgelehnt. Wenn »nichts los ist«, oder »keine Spannung aufkommt«, dreht er sich um und zieht die Decke über den Kopf. Normalerweise ist er Schauspieler und Maler. Die »ungewöhnliche Erfahrung, die Männer sonst nicht machen«, nämlich ein lediglich auf die sexuelle Körperlichkeit beschränktes »Objekt« zu sein, reizte ihn an diesem Job. Den Rahmen dazu bot die zweiwöchige Filmaktion »Perlen für die Säue«, erotische Filme für Frauen im Eiszeit-Kino um die Ecke, der sich Krimhild Pflaumers »Laden für Nichts« angeschlossen hatte. Zugegeben — es schmeichelte ihm überdies, »daß Frauen mich attraktiv finden«. In den Tagen, bevor es losging, tat er, was ein Objekt zu tun hat. Er brachte seinen Körper in Form und begann eine Diät — »damit ich einen schönen Anblick biete«.
Sein »Konzept« sah vor, Objekt zu sein, gleichzeitig aber »die »Objekthaftigkeit zu durchbrechen«. Als »Blickfänger«, so stellte er sich vor, baue er eine Spannung auf und bleibe damit Subjekt. Der Experimentcharakter seiner »Performance« förderte jedoch wenig außergewöhnliches zutage. Das einzig andere: die Sensation des nackten Mannes vor weiblichem Publikum, und vielleicht, daß Frauen etwas verhaltener reagieren als Männer. Trotz vieler witziger Erlebnisse blieb er genau das, wofür er bezahlt wird: die zu begutachtende Beute — in ihrer Bewegungsfreiheit auf das Bett beschränkt —, die stets mit einem Angriff auf das Selbstbewußtsein rechnen muß. Frauen nutzten die Gelegenheit genau wie Männer. Manch eine Kühne, die ihn zu »lahm« finde, mache sich den Scherz, ihm die Decke wegzuziehen und ihn anzutreiben. Eine andere rufe: »Was? Das soll eine männliche Venus sein?« Wiederum eine mokierte sich — was ihm besonders unangenehm sei — über die Pickel auf seinem Rücken, die durch die Kunststoffdecke entstanden seien.
Der Charme des vermeintlich Abgründigen scheint dahin. Zu seinen Erfahrungen als Objekt gehört inzwischen auch das leise, leere, wenn nicht gar eklige Gefühl des Entblößten gegenüber sich selbst. Sexuell gesehen habe ihn der Job »auf Eis gelegt«. Nüchtern sagt er: »Mich törnt momentan nichts mehr an« — außer Essen. Spätabends sieht man ihn im griechischen Restaurant nebenan, wo er über einem Gyros von seinem Zwiespalt und seiner »gewandelten Einstellung« spricht. Er entwickle sich immer mehr zu einem »radikalen Gegner des Sexismus«, worunter er auch die »Verfügbarkeit der Nacktheit« und das »hierarchische Verhältnis zwischen Zuschauer und Objekt« verstehe. Der Erfahrung wegen will er aber auf jeden Fall bis Ende Juni durchhalten. e.k.
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