: Teilerfolg für Algeriens Opposition
■ Ghozali verspricht verspätete Parlamentswahlen und vorgezogene Präsidentschaftswahlen/ Umstrittene Wahlkreiseinteilung wird möglicherweise revidiert/ Ausnahmezustand dauert an
Algier (ap/afp) — Der neue algerische Ministerpräsident Sid Ahmed Ghozali will das zwischen westlicher Moderne und islamischer Tradition gespaltene Land mit einem Dreipunkteplan aus der Krise führen. Bei seinen Bemühungen um die Bildung eines Übergangskabinetts der Nationalen Einheit nannte er am Sonntag in Algier als Kernpunkte des Programms: die Wiederherstellung des inneren Friedens, Parlamentswahlen bis Ende dieses Jahres und eine Präsidentenwahl 1992.
Ghozali hatte am Sonntag 17 Vertreter der insgesamt 48 anerkannten politischen Parteien und Gruppierungen empfangen. Außerdem sprach der Ministerpräsident mit Persönlichkeiten der „bürgerlichen Gesellschaft“, darunter dem Ehrenvorsitzenden der Algerischen Menschenrechtsliga, Miloud Brahimi, dem Wirtschaftsprofessor Hocine Benissad, der Pädagogin Malika Griffou und der Präsidentin der Frauenrechtsvereinigung, Khalida Messaoudi. Sie waren alle in den vergangenen Monaten mit scharfer Kritik am Regierungs-, Wirtschafts- und Erziehungssystem Algeriens an die Öffentlichkeit getreten.
Nach den Gesprächen mit Ghozali wurde bekannt, das Übergangskabinett solle keine „Parteienregierung“ sein, sondern sich auf die „bürgerliche Gesellschaft“ gründen und in erster Linie Parlamentswahlen im Oktober organisieren, denen Präsidentschaftswahlen folgen sollen. Die Parlamentswahlen waren für den 27.Juni angesetzt, letzte Woche aber aufgrund der Unruhen auf ein unbekanntes Datum verschoben worden. Die Ablösung von Staatspräsident Chadli, dessen Amtszeit erst 1993 abläuft, durch eine vorgezogene Direktwahl des Präsidenten war eines der Hauptziele gewesen, die die fundamentalistisch ausgerichtete „Islamische Heilsfront“ (FIS) mit den Streiks und Demonstrationen der vergangenen zwei Wochen zu erreichen versucht hatte.
Ghozali versicherte seinen Gesprächspartnern, daß es sich um „saubere Wahlen“ handeln solle. Dem entspreche eine Revision der Wahlkreiseinteilung. Die FIS hatte diese zum Anlaß für ihre Proteste genommen, da sie nach ihrer Auffassung die regierende Nationale Befreiungsfront (FLN) klar begünstigte.
Nachdem die FIS am Wochenende die Beendigung der Proteste angekündigt hatte, kehrte in Algier wieder die Ruhe ein. „Einige Tage bis einige Wochen lang“ werde der Ausnahmezustand, der offiziell für vier Monate verhängt wurde, trotzdem noch andauern, kündigte Ghozali an. Ein großer Teil der Militäreinheiten, die am Mittwoch in der Hauptstadt postiert worden waren, wurden in der Nacht zum Samstag abgezogen. Nur noch vor öffentlichen Gebäuden wie dem Sitz des Präsidenten und des Parlaments waren weiterhin Panzer zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen