: Nicaraguas Contra rüstet wieder auf
Bewaffnete Banden sabotieren die Versöhnungspolitik der Regierung — doch die Contra-Führer lehnen Rückkehr zum Krieg ab ■ Aus Managua Ralf Leonhard
In Nicaraguas Norden zieht die Vergangenheit wieder herauf: Ein Jeep gerät in einen Hinterhalt, wird beschossen, die Insassen verletzt herausgezerrt und ermordet. Anschließend stecken die mit Panzerfäusten und Schnellfeuergewehren ausgerüsteten Angreifer noch das Fahrzeug in Brand. Was sich am letzten Donnerstag bei San Rafael del Norte 200 Kilometer nördlich von Managua ereignete, ist längst kein einmaliger Fall mehr. Die Opfer: der sandinistische Polizeihauptmann Luis Meza Moreno und seine Sekretärin. Die mutmaßlichen Täter: eine Gruppe von sogenanten „Recontras“, ehemaligen Konterrevolutionären, die das Kriegsbeil wieder ausgegraben haben. Meza und eine Anzahl weiterer Militärs sowie ein Geistlicher hatten Tage vor dem Überfall Drohungen erhalten. Selbst Präsidialminister Antonio Lacayo, die rechte Hand der Präsidentin, fürchtet um sein Leben.
Fast ein Jahr ist es her, daß die Contras ihre Waffen abgegeben und versprochen haben, sich in die zivile Gesellschaft zu integrieren. Einen Teil der von den USA gelieferten Gewehre, Granatwerfer, Raketen und Artilleriegeschütze übergaben sie jedoch nicht den UNO-Soldaten, sondern verscharrten sie in sicheren Verstecken in den Bergen. In den letzten Wochen sind große Mengen dieser verborgenen Waffen wieder ausgegraben worden. Laufend werden Überfälle gemeldet.
Israel Galeano alias Comandante Franklyn, der zur Zeit der Entwaffnung den Oberbefehl über die Contra-Truppen führte, ist für eine Wiederbewaffnung nicht zu haben. „Wenn einige Leute glauben, man muß wieder Krieg spielen, um Nicaragua aus dem Schlamassel zu holen, dann täuschen sie sich gewaltig. Ich habe den Krieg an meiner eigenen Haut erlebt, wie Tausende hier, die ihn auch nicht noch einmal erleben wollen.“ Franklyn und andere wichtige Kommandanten wurden in die Regierung kooptiert, wo sie sich in verschiedenen Ministerien um die Anliegen ihrer Kameraden kümmern. Franklyn selbst leitet eine Abteilung im Innenministerium, Comandante Rubén steht dem sogenannten Repatriierungsinstitut vor. Doch Tausende Contras, die noch immer auf das ihnen zugesagte Stück Land warten, hören nicht mehr auf ihre Oberbefehlshaber. Gruppen von demobilisierten Contras besetzten sandinistische Genossenschaften, aber auch die eine oder andere Farm eines privaten Großgrundbesitzers. In einigen Fällen taten sich die landhungrigen Contras sogar mit der sandinistischen Kleinbauernorganisation UNAG zusammen, um ein Stück Land zu ergattern. Gleichzeitig operieren in den Bergen von Matagalpa und Jinotega, wo einst die heftigsten Kämpfe tobten, bewaffnete Wegelagerer, die Reisende ausrauben und die Versöhnungspolitik der Regierung gezielt boykottieren.
Anfang Mai wurden Ingenieure der sandinistischen Armee mit Feuerwaffen attackiert. Die Militärs hatten mit dem Bau einer 43 Kilometer langen Straße im äußersten Norden Nicaraguas den Zugang zu neuem Ackerland für 10.000 Familien demobilisierter Contras geschaffen. Mit der Erschließung dieses Landes hofft die Regierung das Landproblem gelöst zu haben. Präsidialminister Antonio Lacayo eröffnete die Straße von Ayapal gemeinsam mit dem ehemaligen Contra-Chef Franklyn, der seine Leute aufforderte, fortan für den Frieden und die nationale Versöhnung zu arbeiten.
Armeechef Humberto Ortega schätzt, daß es 1.100 Recontras gibt. Hinter den bewaffneten Aktivitäten vermutet er einen Destabilisierungsplan, in den der revanchistische aber machtlose Vizepräsident Virgilio Godoy und der rechtsextreme Bürgermeister von Managua, Arnoldo Alemán, verwickelt sind. Genauso wie Godoy und Alemán fordern die sogenannten Recontras die Auflösung der noch von Sandinisten kontrollierten Armee und Polizei und die Absetzung des Präsidialministers Antonio Lacayo, des Schwiegersohns der Präsidentin Chamorro. „Beweise für eine Zusammenarbeit haben wir noch nicht“, erklärte Humberto Ortega vor wenigen Tagen vor dem Verteidigungsausschuß der Nationalversammlung, „aber wir sind dabei, sie zu sammeln.“ Die Führung der FSLN hat am 7. Juni in einem Kommuniqué gegen die Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung protestiert. Und selbst Comandante Rubén räumt ein, daß die öffentlichen Äußerungen des Vizepräsidenten den bewaffneten Gruppen zumindest den Rücken stärken.
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