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BESTATTUNGUNDWIEDERAUFERSTEHUNG  ■  SEPULTURA UND SACRED REICH

In Brasilien ist man entweder arm oder reich. Eine Mittelschicht, eine Masse von Kleinverdienern, wie hier in Europa, ist praktisch kaum vorhanden, bzw. ein verschwindend geringer Bevölkerungsanteil. Wer dort in den Slums geboren wird, hat keine Chance, dem Elend zu entkommen. Die nächste Stufe der Leiter ist eine Unterschicht, Gelegenheitsarbeiter, die bestenfalls Klos in Krankenhäusern putzen oder die Straßen kehren dürfen. Wer Glück und Arbeit hat, spart das Geld, solange es fließt, um die Zeiten ohne Job überleben zu können.

»Drogen verkaufen ist ein Weg, der Armut zu entkommen und auf halbwegs passable Art und Weise Geld zu machen, deshalb sind viele meiner früheren Freunde im Knast oder tot, denn die brasilianische Polizei fackelt nicht lange mit Kleindealern, das würde die Bürokratie vollkommen überlasten und zuviel kosten, ein sauberer Schuß durch den Kopf löst das Problem«, sagt Max Cavalera (21), Sänger und Gitarrist bei Sepultura. Er und sein Bruder Igor starteten die Band vor sechs Jahren. Paulo Jr. (21), Bass, und Andreas Kisser (22), Lead Guitar, sind seit '87 dabei.

»Ich bin eigentlich in recht passable Verhältnisse hineingeboren worden — oder was für brasilianische Umstände darunter versteht«, sagt Max. Und: »Zwischen meinem zehnten und fünfzehnten Lebensjahr war unsere Familie allerdings sehr arm. Mein Vater starb, meine Mutter konnte den Frust nicht überwinden, fand keinen Job, also sind Igor und ich in die Fabrik gegangen, um überhaupt etwas Geld zu beschaffen.«

»I see the world — old/ I see the world — dead«, eine Zeile aus Sepulturas (zu deutsch Bestattung) Titelsong der neuen, vierten LP »Arise« (Auferstehung). Produziert von Masterblaster Scott Burns, gemixed von Andy Wallace, der mit Gruppen wie Cult und Danzig arbeitete und für die letzten drei LPs von Slayer verantwortlich war. Und genau dieser Supergruppe wird Sepultura vielleicht den Rang ablaufen. »Beneath The Remains«, Sepulturas Album vor »Arise«, wurde von der amerikanischen Presse als gleichrangig mit Slayers »Reign In Blood« gepriesen, vor allen Dingen was beider Alben Intensität angeht, wobei Slayer seit »Reign In Blood« stagnieren, bzw. nur noch solides Handwerk vorweisen, keine Steigerung mehr möglich scheint. Sepultura haben gute Chancen, diesen toten Punkt zu überwinden, weil sie weiter hungrig sind. Auf der letzten Slayer-Tournee durch die Staaten sollten Sepultura den Opener machen, mit Erscheinen von »Arise« war die Frage nach der Vorgruppe gelöst und Sepultura ohne Angabe von Gründen wieder ausgeladen.

Sie sind eine Konsensband. Definitiv. So wie sich Leute mit verschiedenem Musikgeschmack in den 70ern/80ern einigen konnten auf Gruppen wie AC/DC, Motörhead und Slayer, werden sich die Leute in den 90ern nach Sepultura richten müssen. »Wir haben niemals eine Art von Death Metal gespielt«, sagt Igor, »wir sind eine Kombination aus Trash, Hardcore, eher experimenteller Musik und ein klein wenig Death Metal.« Wir werden sehen. Nehmt sie beim Wort.

Sacred Reich stammen aus Phoenix, Arizona, wo die Kehle dauernd staubig und trocken ist, haben (oder besser: hatten) einen guten Ruf in der Underground-Metalszene, denn ihr furioser Drummer Greg Hall will die Band dieses Jahr verlassen. Ihr neue LP strotzt vor Texten mit guten Absichten, ist aber leicht debil. Wenn sie schon ein heißes Eisen anfassen (in diesem Fall: Freitod eines Metal-Fans wegen überharten Genuß von Ozzy Osborne oder was auch immer. Sind Metal-Texte Aufforderungen zum Selbstmord, im engeren wie im weiteren Sinne, und überhaupt, wer war Schuld und rechtfertigt dies nicht die Zensur weil GrindCore verdirbt unsere Tochter? Denn Sacred Reich sagen eben, hättet ihr euch mal besser mit euren Eltern verstanden!), geht das in die Hose, weil diese Erklärung ganz einfach falsch ist. »Texte von Sting haben etwas zu sagen«, singen Sacred Reich, wo der doch demnächst von seinen Amazonasindianern gevierteilt und skalpiert wird — gerechterweise. Trotzdem sind Sacred Reich ein Brett, wie man so schön sagt, vollste Breitseite Metal und mit Greg Hall an den Drums garantiert leberhakenmäßig. Peter K.

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