piwik no script img

Justizentlastungsgesetz belastet die Justiz

Juristen streiten um die geplante Verkürzung gerichtlicher Verfahrenswege zugunsten des Ausbaus der Justiz in der Ex-DDR  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz und Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) ist entschlossener denn je, den Gesetzesentwurf zur Entlastung der Justiz durch die Gremien zu peitschen. Die geballte Kritik an dem Gesetzesvorhaben, die der Senatorin am Montag abend auf einer Podiumsdiskussion im Berliner ÖTV-Gewerkschaftshaus von Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern entgegenschlug, tat Limbach kurzerhand als „egozentrische Argumente“ unbelehrbarer Juristen ab.

Wie berichtet sieht der Gesetzesentwurf eine drastische Beschränkung der Rechtsmittelmöglichkeiten und des Beweisantragsrechts vor. In der Strafgerichtsbarkeit soll außerdem das Strafbefehlsverfahren erweitert, die Sprungrevision abgeschafft und die Zahl der Richter in den Strafkammern verkleinert werden. In der ersten Instanz der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist unter anderem geplant, den Einzelrichter zum gesetzlichen Regelrichter zu machen.

Das Gesetzespaket, das dazu dienen soll, Personal für den Ausbau der Justiz in den fünf neuen Bundesländern freizusetzen, wird seit Montag in einem Unterausschuß des Rechtsauschusses des Bundesrats beraten.

Nach Angaben von Limbach hat die Hansestadt Hamburg bezüglich des Strafbefehlsverfahrens inzwischen einen Änderungsvorschlag dahingehend eingebracht, daß dem Urteil eine „obligatorische Anhörung“ des Beschuldigten vorgeschaltet werden soll. Außerdem haben „Hamburg oder das Saarland“ laut Limbach vorgeschlagen, daß die Staatsanwaltschaft bei Freisprüchen künftig keine Rechtsmittel mehr einlegen dürfe, wenn sich der Strafantrag in „einem bestimmten Rahmen“ bewege.

An dem Einzelrichter in erster Instanz werde aber mit großer Entschlossenheit festgehalten, betonte die Justizsenatorin und erntete damit am Montag abend den heftigen Widerspruch des Berliner Verwaltungsgerichtspräsidenten Alexander Wichmann. Bislang ist es so, daß die Richter beim Verwaltungsgericht in eine Richter-Kammer eingebettet sind, und über eine Klage nur dann allein entschieden dürfen, wenn Kläger und Beklagter zustimmen. In Zukunft soll der Einzelrichter grundsätzlich allein entscheiden, es sei denn, er gäbe den Fall wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ an die Kammer ab. Wichmann befürchtete, daß sich die Einzelrichter nun in Zukunft allein entscheiden werden, weil sie sonst zugegeben müßten, einer Sache nicht gewachsen zu sein. Der Präsident des Verwaltungsgerichts forderte, daß die Richter grundsätzlich in den Kammern eingebettet bleiben müssen und nur dann allein entscheiden sollen, wenn ihnen der Fall von der Kammer übertragen wurde.

Die Einsetzung des Einzelrichters, so die Befürchtung des Verwaltungsgerichtspräsidenten, „wird ein Wirrwarr von Rechtssprechungen zur Folge haben“. Die hinzukommende Beschränkung der Berufungsmöglichkeit werde sich so auswirken, daß Kläger und Beklagte massenhaft vor das Verfassungsgericht zögen.

Wichmann verwies ferner darauf, daß laut Gesetzesvorhaben im Asylverfahren in Zukunft überhaupt keine Berufung mehr gegen die Entscheidung des Einzelrichters geben soll. „Das“, so Wichmann, „führt zu einer inhaltlichen Aushöhlung des Artikel 16.“ (Asylrecht/d. Red.)

Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, Hans-Joachim Ehrig, sprach von einem „Rechtsstaat zweiter Klasse“ als Folge des neuen Gesetzes. Die geplante Beschränkung des Beweisantragsrechts, des „Herzens“ der Strafprozeßordnung, werde dazu führen, daß der Beschuldigte kaum noch Einfluß auf das Verfahren nehmen könne. Mit der Einführung der Zulassungsberufung gegen Urteile von nicht mehr als dreißig Tagessätzen würde die Mehrzahl der vom Amtsgericht Verurteilten ihres Rechtsschutzes beraubt, erklärte Ehrig. Um die Justiz zu entlasten, schlug der Strafverteidiger vor, daß die Staatsanwaltschaft keine Berufung mehr gegen Freisprüche einlegen dürfe. Außerdem solle der Angeklagebehörde die Möglichkeit genommen werden, die Aufhebung von Haftbefehlen und die Nichteröffnungsbeschlüsse der Gerichte anzufechten.

Aus den Reihen der im Auditorium versammelten Richter, Staats- und Rechtsanwälte wurde gefordert in der bundesdeutschen Strafgerichtsbarkeit endlich, so wie bei der übrigen Gerichtsbarkeit, die „Dreistufigkeit“ der Instanzen durchzusetzen (jetzt sind vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof vier Instanzen/d. Red.). Der Vorsitzende der Berliner Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) und Verwaltungsrichter, Percy McLean, plädierten dafür, die „Beförderungsideologie“ aus den Köpfen der Juristen „rauszubekommen“. McLean verwies in diesem Zusammenhang auf das Gerangel um die Posten der Gerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten in den neuen fünf Bundesländern. Die Tendenz müsse vielmehr dahingehen, das die Richter zwischen den Instanzen wechseln und beim Vorsitz eine Rotation eingeführt werde.

Der Berliner Landesverband des Deutschen Richterbundes lehnte das Gesetzesvorhaben am Montag abend auf einer gesonderten Sitzung gleichfalls rundweg ab. „Das Gesetz bringt keinen erkennbaren Spareffekt, dafür aber eine schlechtere Rechtsqualität und politischen Zündstoff“, erklärte der Vorsitzende und Oberstaatsanwalt Victor Weber gegenüber der taz. Das Ziel der Justizminister, in den Altbundesländern Personalkapazitäten einzusparen, sei schon deshalb nicht zu erreichen, weil kein Richter ohne seine Zustimmung „zwangsweise“ versetzt werden könne.

Der Bundesvorstand des Deutschen Richterbundes wird am 21. Juni in München eine Stellungnahme zu dem Gesetzesvorhaben erarbeiten. Die Stimmung im Präsidium beschrieb Weber so: „Es herrscht allgemeines Entsetzen über die Art, wie das Gesetzesvorhaben, ein alter Ladenhüter, jetzt durchgezogen werden soll.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen