: »Hab‘ Kugellager im Bauch«
■ Jalilah, Afritah & Zarefah beim Crazy Loquat Club im Tempodrom
Der Crazy Loquat Club im Tempodrom, neue Heimstätte für Musik aus allen Welten, verwandelt in dieser Woche das kleine Zelt in einen orientalischen Bauchtanzclub. Jalilah, Afritah & Zarefah, Kennern des arabischen Tanzes in Berlin bekannt durch ausverkaufte Auftritte beim letztjährigen »Trans- Europ-Festival« in der Ufa-Fabrik, werden im Tempodrom mit »Raks Sharki« ihr neues Programm präsentieren.
Raks Sharki bedeutet aus dem Arabischen übersetzt so viel wie »Tanz des Orients«. Die Europäer, im neunzehnten Jahrhundert kolonisatorisch in Afrika eingefallen, machten daraus so wenig wie »belly dance«, »dance du ventre« oder preußisch: Der Bauchtanz. Eine Wortschöpfung, die den Tanz auf ein Körperteil reduziert. Vielleicht starrten die Herren Eroberer, unter ihren Pickelhauben und Tropenhelmen schwitzend, wie hypnotisiert den arabischen Tänzerinnen auf den Bauch und bemerkten deshalb nicht, daß sich der Bauch bei diesem Tanz als einziges Körperteil in relativ stabiler Lage hält. Wobei alle anderen Gliedmaßen sich um diesen wie um ein Kugellager zu drehen scheinen. Nicht einmal auf das noch eher naheliegende Wort »Hüfttanz« verfielen die Vorreiter der Exotik-Touristen. Vergessen Sie »Bauchtanz«: es lebe Raks Sharki.
Raks Sharki besitzt eine Jahrhunderte alte Tradition. Waren früher die Tänzerinnen, Musiker und Sänger Angehörige der Sklavenkaste, so haben sie sich heute einen festen kulturellen Stellenwert erobert. Noch immer aber haftet der professionellen Ausübung des Tanzes, vornehmlich auf Hochzeiten, Festivitäten und in Nachtclubs, der Hauch der Prostitution an. Wahrscheinlich auch, weil die teilweise recht großzügigen Trinkgelder für die Tänzerinnen von den Männern besonders gern direkt in Slip oder BH der Damen verstaut werden.
Um die männliche Dominanz, die »natürlich« auch im Musikbusiness herrscht, zu durchbrechen, hat sich die Tänzerin Jalilah von Berlin nach Ägypten aufgemacht. Unter ihrer eigenen Regie entstand ein Album mit berauschender Tanzmusik. Lorraine Zamora (wie Jalilah bürgerlich heißt) erhielt einen Vorschuß vom Berliner Piranha Label — einer der ersten Adressen für Heimatklänge — quartierte sich in einem Studio in Kairo ein und engagierte mit Mokhtar Al Said einen der renomiertesten Raks Sharki Musiker. Seit über dreißig Jahren im Geschäft — der gelernte Akkordeonist arrangierte unter anderem die ägyptische Nationalhymne — gründete Al Said für das Plattenprojekt von Jalilah eigens das Orchestra El Ferka El Mesaya.
Das Orchester spielte die Lieblingstücke von Lorraine auf Originalinstrumenten. Neben Tablas, die für den getrommelten Rhythmus-Background sorgen, dominieren alle Arten von Streichern den Sound. Das reicht von der akustischen Violine, für die gleich fünf verschiedene Musiker verantwortlich zeichnen, übers Cello von Emad Taha bis zu grandios schmalzigen Geigenorgien, die schwer an Synthiestreicher erinnern. Die Platte ist aufgeteilt in zwei Blöcke, unterbrochen von einem Tablasolo, bei der sich die Tänzerin beim praktischen Einsatz der CD erst einmal verschnaufen kann. Im zweiten Teil der einstündigen Aufnahme folgen dann noch drei Tracks für tanzwütige Rak Sharkis mit filigranen Flötentönen, heftigen Streichern und eindringlichem Tablageklopfe. Die Platte heißt — wie könnte es anders sein — »Raks Sharki«.
Ein wenig schade ist, daß Jalilahs Teilerfolg über die Männerwelt auf dem Platten- Cover schon wieder fast ins Gegenteil verkehrt wird. Jalilah ist zwar auf einem Foto als hübsche Tänzerin zu bestaunen, ihr Name findet sich auf dem Außencover jedoch nicht. Dort ist nur ein Mann vermerkt: Mokhtar Al Said. Der Musik tut dieser (männliche?) Formfehler jedoch keinen Abbruch. Jedenfalls ist es die wohl optimale Tanzmusik für Jalilah, Afritah und Zarefah. Und für alle BerlinerInnen, die in unzähligen Kursen versucht haben, ihre Gelenke in gut geschmierte Kugellager zu verwandeln. Andreas Becker
Bis Sonntag täglich ab 23.00 im kleinen Zelt des Tempodrom.
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