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Literatur als geselliges Ereignis

■ Der Verlag Warnke und Mass stellte seine internationalen Autoren im literarischen Colloquium vor

Die S-Bahn Richtung Grunewald versprach dem Westberliner Aus-dem- Fenster-Gucker fast dreißig Jahre lang Freiheit, gar Abenteuer, Weite. Angekommen beim literarischen Colloqium oder im Strandbad Wannsee war immer alles schon zu Ende gewesen. Hochfahrende Wünsche, faul in der Sonne liegende Westberliner Touristen etwa einmal in ihrer Wohnung zu besuchen, Ahnungen großer Fahrten, die Dichter nur dadurch beschworen, daß sie aus Frankfurt, München, Jugoslawien oder Bodoland kamen, verflüchteten sich eilig ins Imaginäre. Denn am Wannsee war die Welt zu Ende.

Die Käseglocke ist weg. Am Wannsee fängt die Welt jetzt an. Das idyllisch merkwürdig beengende, tödlich geschmackvolle Ambiente der Villa am Sandwerder 5, der rosa Salon, die absurden Säulen und Bögen, die wohl was von Griechenland ahnen lassen sollten, die letzten Endes doch eher abstoßende Garten- und Über-den-See-guck-Konstruktion, die den Dichterblick auf idyllische Melancholie einengen sollte, ist irgendwie durcheinander gekommen. Vielleicht auch nur, weil der Warnke & Mass-Verlag, der am Ende einer siebenteiligen östlichen Reihung sich vorstellte und präsentierte, dankenswerterweise für freien Alkohol sorgte. Alkohol, Worte und Kunst verbinden die Menschen. Die ehedem eher geschlossene literarische Szene Berlins hat sich geöffnet. Überall und ständig finden Lesungen statt. Und vor allem zeigen sich immer neue interessante Reihungen.

Im Büro der 'Neuen Bildenden Kunst‘ lächelt Sabine Vogel schelmisch ihr »ich bin auch hier«, im Offenen Kanal im Garten des Tegeler Hobbyphilosophen Osten trägt der Westberliner Galerist Jes Pedersen wissend seinen Bauch durch die Welt, der Ostberliner Volksdichter Peter Wawerzinek kichert neben ihm, Thomas Kapielski leert sein Glas, und der Verleger Erich Maas filmt all das aufgeregt. Begeistert erkennt man, daß sich die Welt oder Berlin lustig, überall und irgendwie in der Kunst verbindet. Ob in der Akademie der Künste Ost, beim Imbiß am Kollwitzplatz, im »Kyril« in der Lychener Straße, ob als Freund, Feind oder Gerüchteverbreiter — jeder braucht nur einen zu kennen, um an die Kunst angeschlossen zu sein. Über seltsame Wege ist inzwischen ein jeder, der ab und zu seine Wohnung verläßt, angeschlossen.

»Feine Menschen« allesamt, wie der Kapielski. »Was ist denn der Kapielski für ein Mensch — das ist ein ganz feiner Mensch«, erklärt der Künstler mit wohl- und volltönender Stimme. »Der Kapielski, das ist ein feiner Mensch«, wiederholt er. Der Kapielski ist ein sehr feiner Mensch, wissen dann auch die kichernden Zuhörer. Der Kapielski macht sich stark für uns und zieht gegen die unverschämten Bierpreisanhebungen ins Feld. 68 wäre noch alles so schön gewesen; da kostete der halbe Liter noch eine Mark zwanzig. Später hätte man die Gläser verkleinert. Zwei Biergläser; ein lächerliches O,3-l-Glas und eine imposante, wohlgeformte Maß illustrieren auf einem Dia die Gemeinheit, die in der Erfindung von »Light«, oder Leidbier gipfelte. Leitungswasser solle man doch dann gleich trinken. Daß das aufgeschlagene Buch aussieht, wie ein »Arsch«, und so für Verwirrungen sorgt, konnte der Künstler mit Hilfe eines weiteren Dias verdeutlichen. Auch von Mikrowellenherden, die bei der Post angemeldet werden müssen, war die Rede. »Der Kapielski« war jedoch die Zugabe. Am Warnke & Mass- Verlag ist er nicht beteiligt, nur, und das illustriert in seiner Prerson noch einmal das Verbindende des Alkoholtrinkens, sei er oft und gerne mit Maas und Peter Wawerzinek durch die Kneipen in Ost und West gezogen. Stolz können die drei auf einige Lokalverbote verweisen.

Peter Wawerzinek, der sich nach dem Hundefutter »Chappi« nennt und die ehemalige DDR zusammen mit Durs Grünbein beim Literaturverhinderungswettbewerb in Klagenfurt vertreten wird, ein quirliger untersetzter Volks-Dichter, der bei einer Lesung während der Leipziger Buchmesse nie die Kunst (da hat sich die Kunst geärgert), sondern immer nur seinen Lieblingsimbiß am Kollwitzplatz grüßte, blätterte in seinem himmelblauen Roman Nix; las da und dort, um sich wieder zu unterbrechen, denn das hatte er schon zu oft gelesen. Oft forschte er über Vergangenheiten »‘Ob die Mutter uns zur Welt gebracht hat?‚ fragten wir uns bange. ‘Mich‚, sagte ich, ‘hat allein der Schuttberg angeschleppt‚. Oder ‘Gerümpelcontainer. Müllschlucker. Papierkörbe und Reißwölfe. Das sind seine Erregungen. ... Der ganze moderne Quark interessiert ihn wenig.‚« Gute Wünsche begleiten ihn ins Kärntner Land. »Kafka didn't have a lot of fun either« steht auf dem schwarzen T-Shirt einer Kollegin von der 'Berliner Zeitung‘. Funny van Dannen, Kreuzberger »End-Art«- Künstler imponierte dann mit kleinen Erzählungen, die vielleicht zur Konsolidierung einer neuen Gattung — »Rotkäppchensplatter« (Vogel) — beitragen können und wollen und sollen. Mit Schlips, Anzug und freundlichem Lächeln präsentierte er kühne Anfänge: »Yeti hatte an der Po-Po- Rallye teilgenommen, war aber gleich beim ersten Arschloch aus der Kurve geflogen und blieb mit gebrochener Klobrille liegen. Aus der Traum.« Anekdotisch berichtete er von schönem Hundefutter, daß im Maul des Hündchens »Dracula« zur Mehrzweckhalle wird, erzählt von einem Schlafforscher, der feststellt, daß »Schlaf sich nur dann lohnt, wenn der Schläfer wieder aufwacht«, weiß, daß Kants (»oder besser Manni, wie ihn hier alle nannten«) große Liebe der Hobbyklempnerei galt und »jeder, der das Buch gelesen hatte, legte es empört und mutlos zum Altpapier fürs Rote Kreuz«. Davor muß man es sich aber noch schnell kaufen.

Wo alles sich inzwischen also wie eingangs erwähnt verbindet, war Husen Ciawi, ein indonesischer Dichter, der in Deutsch schreibt, im Abstand die Sprache verfremdet, sich »seltsam vorkommt« als Schriftsteller und häufig kichernd die Hörer zum Kichern verführte, »nicht hierhergekommen um dir Fickgeschichten zu erzählen«. Statt dessen variierte er unter einem handgeschriebenen Schild, daß hurtig an die Wand geheftet wurde (»die literarische Spießigkeit«) die Schwierigkeiten und wörtlichen Amüsements des Kommens. »Du bist so blöd, und ich komme.«

Die Besucher wollten nicht gehen, und lustige Beschimpfungen machten unter interessierten Blicken die Runde — zum Beispiel der da, der hangele sich doch nur von einem Stipendium und Stadtschreiberpöstchen zum nächsten und sollte 1.500 DM monatlich kriegen vom Staat mit der Auflage, nie mehr zu schreiben. In der S-Bahn unterhielten wir uns über 'Berliner-Zeitungs‘-Bärchen, die sich beschweren oder auch wohlmeinend manches Mal loben. Detlef Kuhlbrodt

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