KOMMENTARE: Am Anfang war Lysistrate
■ Voller Spannung blickt die Welt auf den Streik der Schweizer Frauen
Der erste Aufruf zum Streik der Frauen, den uns die Geschichte überliefert, erging von Lysistrate, der „Heerauflöserin“. So um 450 v.Chr., als im alten Griechenland der Krieg zwischen Athenern und Spartanern tobte, traf sich die Athenerin heimlich mit ihren Geschlechtsgenossinnen aus dem feindlichen Lager und kungelte mit ihnen eine absolut wirksame „counter strategy“ aus: einen Liebesstreik gegen Gatten und Gespielen, bis daß Frieden herrschte. Und tatsächlich: Nachdem die Kerle genug unter Druck gestanden hatten, gaben sie klein bei. Dieses Happy-End spann sich zumindest der griechische Stückeschreiber Aristophanes in seiner Komödie Lysistrate zusammen. In Wirklichkeit war wahrscheinlich alles ganz anders.
Die Mutter aller politischen Frauenstreiks also pure Männerphantasie? Egal. Angeregt hat der Fall Lysistrate die Phantasien von Frauen über die Jahrhunderte hinweg. Oft drohten sie, wenn ihnen die Phallokratie wieder mal tierisch auf die Eierstöcke schlug, mit dem Auszug aus dem gemeinsamen Schlafzimmer.
„Gebärstreik“ heißt die moderne Variante. Die Verweigerung der Reproduktion der Spezies wurde zwar nicht von der neuen Frauenbewegung erfunden, von radikalen Friedensfrauen und separatistischen Feministinnen aber immer wieder als Wunderwaffe gegen Patriarchat und Imperialismus herbeigeträumt.
Auf bescheidenerer Ebene aber gab es tatsächlich politische Frauenstreiks, und sie waren durchaus wirksam — öffentlichkeitswirksam. Denken wir nur an die Isländerinnen: 1975, im Internationalen Jahr der Frau, brachten sie für einen Tag das öffentliche und private Leben auf ihrer Insel zum Erliegen. Sie streikten für nichts weniger als echte Gleichberechtigung. Daß sie es heute, nach mehr als 15 Jahren, zwar zu einer streitbaren Staatspräsidentin und einer Frauenpartei mit Sitz im Parlament gebracht haben, ansonsten aber immer noch schlechter als Männer dastehen, daß es mit einem Streich eben nicht getan ist, das wissen die Akteurinnen selbst am besten.
Doch zuallererst hebt der Frauenstreik die Solidarität der Klasse Frau und erschreckt vielleicht ein bißchen die Männer. Und einen Augenblick lang schafft er es, den gierig schweifenden Blick der Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Wenn daher heute die Schweizerinnen etwas Unordnung in ihre saubere Republik bringen und ihre Eidgenossen „zwängen“, dann haben sie einen Erfolg schon in der Tasche: Publicity. Eine bessere PR-Arbeit für ihre Anliegen konnten sie kaum leisten. Applaus für die Schweizer Schwestern und: viel Spaß! Ulrike Helwerth
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