: Dritter Weg für Architekten
■ An der Hamburger HdK scheiterte eine Ehrung erfolgreich
„Es muß Sie außerstande setzen, in diesen Räumen ein schlechtes Buch zu lesen.“ Solch freundliche, ja humanistische Sätze gehören zum Credo eines der wichtigsten deutschen Architekten nach dem Krieg: Hermann Henselmann.
Genosse Henselmann war nicht irgendein Architekt in einem volkseigenen Planerkollektiv drüben, sondern der „Chefarchitekt der DDR“. So jedenfalls titulieren Kritiker den inzwischen 85jährigen. Der Erbauer der Berliner Stalin-Allee (heute Karl-Marx-Allee) wird von ihnen wegen seiner ideologischen Nähe zur SED gerügt; sie werfen ihm totalitäres Denken vor und einen Hang zu sozialistischer Massenbauweise.
Diese fundamentale Kritik, die zuweilen an die endgültige Abrechnung des erfolgreichen mit dem historisch gescheiterten System erinnert, brachte nun auch die Hamburger Hochschule für Bildende Künste an den Rand eines Eklats. Denn wie vom Hochschulrat im Februar beschlossen, sollte dem Architekten Henselmann vorgestern abend die Ehrenmitgliedschaft der Akademie verliehen werden.
Es kam freilich anders (wie die taz berichtete). Hochschulpräsidentin Adrienne Goehler setzte die Ehrung vorläufig aus und wünschte sich statt dessen eine Auseinandersetzung mit Henselmanns Schaffen — alles zwischen Verteufelung und Belobigung.
Diesen fortschrittlichen (dritten?) Weg beschritt beim Festakt der Berliner Architekt Hinrich Baller, der sich freilich vor der einzigartigen Situation sah, eine „Laudatio“ zu halten, ohne „Laudatus“ vor sich zu haben. Sichtlich bewegt von dem akademisch-politisch- moralischen Hickhack um die Ehrenmitgliedschaft Henselmanns in der Hamburger Hochschule, versuchte er eine historische Würdigung.
Und räumte zunächst einmal auf mit der Legende, Henselmann sei der Erfinder der Plattenbauweise. Diese sei keine sozialistische Errungenschaft, wie etwa der Bau der zahlreichen Ruhr-Universitäten in Nordrhein- Westfalen zeige. Und selbst die hanseatischen Bauherren hätten in den fünfziger Jahren häufig ihre Plattenbauten hinter den formschöneren Klinkerfassaden verborgen.
Im Jahre 1955 verzeichnet Henselmanns Biographie einen „Ideenwettbewerb zur sozialistischen Umgestaltung des Zentrums der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“. Denkwürdige Folge: Die großen Freiräume mitten in Ost-Berlin, rund um den Fernsehturm, tragen seine Handschrift. Was die Frage nahelegt, welchen Einfluß ein Architekt auf seinen Aufttraggeber hat; zumal wenn der Bauherr der Genosse Staat ist. „Nennenswerten politischen Einfluß hatte Henselmann nur in der Ulbricht-Ära“, wie der Festredner Hinrich Baller genau wußte.
Und hier rammte der Praktiker Baller eine solide Betonsäule in die laufende Diskussion: „Architekten haben auch in hoher Position nicht viel Einfluß.“ Wenn einem soviel Trost wird beschert...
Oder müssen sich die Architekten doch an dem messen lassen, was ihre Auftraggeber schließlich aus den Entwürfen in die Praxis überführen?
Baller jedenfalls hat das Machtwort für die Zunft gesprochen, die Diskussion um Glorifizierung und Verdammung ist damit eröffnet.
Auf der Suche nach einem dritten Weg hat die Hochschule eine neue Form der kritischen Würdigung gefunden. Ein wichtiger Schritt, denn die Auseinandersetzung um die Arbeit und Rolle Henselmanns geschieht anläßlich der zehnten Norddeutschen Architektur-Tage, auf denen es um die Baukultur für das 21.Jahrhundert geht. Und was könnten Konzeptionen für Neues taugen, wenn über das Alte nicht ehrlich und ausgiebig gestritten worden ist? Michael Rauß
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