: „Mission gegen den Bolschewismus“
■ Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion als sechsteilige deutsch-sowjetische TV-Koproduktion
Nach dem Zweiten Weltkrieg berieten Stalin, Roosevelt und Churchill in Jalta über die Aufteilung Deutschlands. Heute ist Deutschland wieder vereint, und die Sowjetunion ist vom Zerfall bedroht; damals aber einte die Verteidigung des Landes die Sowjetunion. „Alles für die Katz“, sagt dazu ein Mitglied des deutsch-sowjetischen Fernsehteams, das eine sechsteilige Dokumentarreihe Der verdammte Krieg. Das Unternehmen Barbarossa (ab Sonntag, 21.55Uhr, ZDF) erstellte.
Der Serie liegen Archivstudien zugrunde, vor allem aber Briefe und Gespräche mit Zeit- und Augenzeugen. Kommentare unterstreichen unerschütterbar die Prämisse: Es war kein Präventivkrieg, der in seiner Grausamkeit eine „Antwort“ auf den Widerstand des sowjetischen Volkes gewesen sein soll. Es war ein „Krieg ohne Regeln“, der nicht aus zweifelsohne ebenso fraglichem militärischem Kalkül heraus begonnen worden war, sondern allein aus dem Wahn vom Lebensraum im Osten heraus, dem die dort lebenden Völker zum Opfer fallen sollten; es war ein kaltblütig brutaler Vernichtungskrieg. „Die deutsche Wehrmacht muß darauf vorbereitet sein, auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrußland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Fall Barbarossa)“ — so lautete die von Adolf Hitler unterzeichnete „Weisung Nr.21“ vom 18.Dezember 1940. Am 22. Juni des folgenden Jahres, auf den Tag genau 129 Jahre nach Napoleons „Sturm gegen Rußland“, begann die „deutsche Mission gegen Weltjudentum, Bolschewismus und das ostbaltisch-ostisch-innerasiatische Volkstum“, wie es der Führer schon lange vorher in Mein Kampf gefordert hatte.
Zwar hat das deutsch-sowjetische Fernsehteam (Guido Knopp und Harald Schott mit dem sowjetischen Fernsehen Gostelradio) die Dokumentation den anonymen Opfern des Krieges gewidmet, doch stützt sie sich methodisch auf die Angaben von Kriegsteilnehmern, die sich auf eine Anzeigenaktion des ZDF hin als aussagewillig gemeldet hatten. Das soll das Verdienst dieser Reihe nicht schmälern, doch es verdeutlicht den Blickwinkel. Nicht die Mütter kommen zu Wort, die die Söhne verloren, nicht der trauernde Vater, sondern der tapfere Held. Nicht der geplünderte Bauer, sondern der deutsch- russische Autor Lew Kopelew oder Gorbatschows Berater Anatolij Tschernjajew — Menschen, die Glaubwürdigkeit mitbringen und deren Antworten kalkulierbar sind. Nicht der kleine Infanterist spricht, sondern die Generäle plaudern: Zeitzeuge F. Wilhelm Christians überlegt, daß ein späterer Angriff Stalins auf Deutschland ja keineswegs hatte ausgeschlossen werden können, so daß es sich beim „Fall Barbarossa“ vielleicht doch nur um einen um Jahre vorgezogenen Präventivkrieg gehandelt haben könne. Und Charlotte von der Schulenburg wird einsichtig zu bedenken geben, daß der Augenblick des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion ein „erster Moment“ gewesen sei. Das sagt weniger aus über die damaligen Empfindungen, als über den heutigen Umgang damit.
Es ist die Sichtweise derer, die den Krieg verantworten zu können glaubten, weshalb Der verdammte Krieg nicht der kritischen Geschichtsschreibung zuzuordnen ist, sondern der akkumulativen — die Serie präsentiert eine, wenn auch im deutschen Fernsehen so noch nie dagewesene, Sammlung an Fakten. Es werden Strategien erläutert und veranschaulicht, so daß man sich fragt, ob bei etwas taktischer Klugheit Deutschland nicht vielleicht doch hätte gewinnen können...
Wenn es in der ZDF-Serie um historische Fehler geht, dann meint das nicht notgedrungen irrige Anschauungen, sondern es kann auch falsche Vorgehensweisen bedeuten. Da schwingen noch der Rauch der Kalaschnikof und das Sirren der Stalinorgel im Unterton, da lebt noch die Furcht vor dem neuen sowjetischen Panzer T34, der, Gott sei's gedankt, doch nicht so schnell hatte produziert werden können. Da wird der Ausgewogenheit halber — oder um den Zuschauern nicht allzu viel zuzumuten — auf die Freude der Ukrainer hingewiesen, die über die Befreiung von Stalin kurzfristig jubeln durften, da werden wahrheitsgemäß Bilder von ukrainischen Nationalisten gezeigt, die von abziehenden Rotarmisten erschossen wurden — solche Szenen, selbst mit dem Vermerk, daß Hitler sie sogleich für die Propaganda gegen Stalin ausnutzte, gelten noch immer als mildernde Umstände, solange von den Ausrottungsaktionen gegen die Juden im Land hinter der vorrückenden Front zwar berichtet wird und auch die Säuberungsaktionen gegen Partisanen beziehungsweise zivile Dörfer im Nebensatz erscheinen, doch diese Art von Greuel nicht veranschaulicht sind.
Wenn die Kommentare also sagen, daß Der verdammte Krieg ein besonders blindwütiger, wahnbesessener Krieg war, so zeigen die Dokumentaraufnahmen und die Archivbilder aus den deutschen Wochenschauen nur Kriegsszenen, wie man sie als „normal“ kennt: Aus dem Cockpit eines Flugzeugs heraus führen am Boden explodierende feindliche Flugzeuge die Überlegenheit der eigenen Luftwaffe und die Zielsicherheit „unserer“ Waffen vor Augen.
Was fehlt, ist die Perspektive von unten, der Blick aus der Sicht der Opfer, das Gespür dafür, was neben den Häusern und Straßen und Brücken und Städten noch alles passierte. Das zu leisten war aber nicht die Aufgabenstellung dieser ZDF-Reihe, der es nüchtern um Sachlichkeit ging, und die einen exakten Beitrag zur Geschichte des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion liefert. Manfred Loimeier
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