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Raumecken, aufgebrochen

Hans Holleins Museum für Moderne Kunst in Frankfurt  ■ Von Ute Lehrer

Drei Stufen, eine Drehtür, und schon hat man sich verirrt. Im Museum für Moderne Kunst, dem neuesten und vorläufig letzten Stück „Kulturpräsentation“, die die Stadt Frankfurt mit dem Bau von elf neuen Museen und zwei Erweiterungen in der letzten Dekade betrieben hat. Gebaut wurde es vom Wiener Architekten Hans Hollein (Jahrgang 1934).

Nach außen verschließt sich das Gebäude mit seiner kaum durchbrochenen Fassade aus Putz und rotem Sandstein gegen die Innenstadt: eine in drei Etagen übereinandergestellte Kiste, eingeklemmt zwischen die im spitzen Winkel aufeinandertreffenden Berliner- und Braubacherstraße, sowie im Westen von der Domstraße begrenzt: ein Dreieck. Ein Tortenstück, sagen die einen, ein Schiff nennen es die andern. Doch eigentlich nimmt es sich aus wie ein Keil, der in das Stadtgefüge hineingetrieben ist.

Sein Besucherströme verschlingendes Maul liegt in einer Ecke, Richtung Dom und Römer, verborgen hinter der niederen Arkade. Im Foyer geht es über den beinahe zu glatt polierten Steinfußboden vorbei an der Garderobe, vorbei auch am straßenseitigen Café, nochmal drei, dann acht Treppen, dem Licht entgegen und hinein in die zentrale Halle.

Mit ihrer Helligkeit und Raumwirkung ist sie beinahe das Gegenteil von dem, was man von außen her erwartet. Die zweigeschossige, trapezförmige Halle mit ihren im oberen Bereich leicht nach außen kippenden Wänden und einzelnen Balkonen reflektiert das von oben einfallende natürliche Licht auf den weißen Wänden und auf den perfekt zugeschnittenen Bodenplatten. Der Raum erscheint groß und edel. An den Wänden die mächtigen Fotoporträts von Thomas Ruff. Sie wirken hier noch gewaltiger, direkter.

Von der zentralen Halle aus führen Durchgänge in die umliegenden Ausstellungsräume und zu einer schräg verzogenen Treppe nach oben. Unter ihr passiert man das eigentliche Treppenhaus, dessen Wände barockartig zurückspringen, und man gelangt in die langgezogene, östliche Spitze des Baus. Dort sitzen 32 schwarzgekleidete Männer artig an einem 16 Meter langen Tisch. Starr und stumm — oder hat sich nicht soeben eine der Puppen bewegt? Eine serielle Installation von Katharina Fritsch.

Über das aufgeschlitzte Treppenhaus geht es ins erste Obergeschoß, vorbei an den Klassikern der sechziger und siebziger Jahre in den Dreieckssaal. Sie gehören zu einer Gruppe von 84, zum Teil hochkarätigen Arbeiten, welche die Stadt Frankfurt und der damalige Direktor des Museums, Peter Iden, vor zehn Jahren von dem verstorbenen Industriellen Karl Ströher erworben haben. Abgesehen von der Beuys-Ecke ist dies beinahe der einzige Raum, der von der Werkauswahl her museal ist; die übrigen Exponate sind eher Ergebnis einer subjektiven Auswahl von Rauminstallationen und Werkgruppen zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen, die der jetzige Museumsdirektor Jean-Christophe Ammann zusammengestellt hat. „Auf die Gegenwart kommt es mir an“, äußert sich Ammann zu seinen Schwerpunkten. Von Zeit zu Zeit will er andere Kunstwerke aus der Sammlung, welche er seit vier Jahren erweitert hat, zeigen.

Die Museumsarchitektur ist dafür nicht ganz einfach zu gebrauchen, da sie selber eine dezidierte Sprache spricht. Jean-Christophe Ammann ist zwar mit dem Resultat heute zufrieden — doch dies war nicht immer so. Grabenkämpfe, so sagt er, habe er mit Hans Hollein ausfechten müssen; dieser wollte zum Beispiel in allen Räumen einen Stein- oder gar Marmorfußboden einbauen. Geeinigt haben sie sich schließlich auf Parkett in den beiden Obergeschossen und auf Stein im Eingangsgeschoß und in sämtlichen Treppenanlagen. Überzeugt sagt Ammann: „Überall, wo wir Änderungen von den ursprünglichen Ideen Holleins vorgenommen haben, mußte die Architektur in keiner Weise darunter leiden.“ Und: „Meine Nachfolger werden mir noch lange danbkbar sein, daß es hier nicht ist wie in Mönchengladbach.“ Dort hat Hollein sein erstes Museum (1972-1982) gebaut, welches zwar räumlich ähnlich wirkt, aber kaum eine Variierung der Ausstellungsgegenstände zuläßt. Eine solche Starrheit kann nicht im Interesse eines aktiven Ausstellungsmachers sein, als welcher sich Ammann im Kunstbetrieb profiliert hat.

Von der Treppe zum Obergeschoß aus lassen sich vielfältige Einblicke in mehrere Räume vornehmen. Die Raumecken, welche auf die Treppe treffen, sind aufgebrochen. Im Andy-Warhol-Raum zieht es zu einem konkav gewölbten Fenster hin. Über die Straße weg ist der Schriftzug auf dem Dach eines kleinen Ladens zu sehen: „Donald Judd“ — Werbung für eine Galerie. In den letzten zehn Jahren hat sich der Galerien-Bestand in Frankfurt etwa verachtfacht. Gerade im Umkreis des Museums für Moderne Kunst überwuchern sie mit zunehmender Geschwindigkeit die letzten Reste einer lokalen Versorgungsstruktur und verdrängen damit das Leben aus dem Quartier. Oder wie es ein Frankfurter Stadtforscher sagt: „Dieses Projekt der städtebaulichen Sanierung nach dem Prinzip öffentlicher Subventionen für privaten Profit kommt nicht ohne dramatische Folgewirkungen für diejenigen aus, die um das Viertel herum wohnen.“

Arbeitsplätze wird es vorläufig genug geben. Zum Beispiel für den Maler, der nach jedem Tag mit dem Pinsel seine Runde im Museum dreht und weiße Wände wieder weißmalt, um die Spuren von Händen und Schuhen zu entfernen.

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