piwik no script img

Ost-Schweinemast: Abschlachten, abstoßen, abreißen

Die Tage der Fleischproduktion in den neuen Bundesländern sind gezählt: Ökologisch und ökonomisch sind die Großmastbetriebe nicht mehr tragbar  ■ Aus Haßleben Jutta Heise

Noch nicht einmal 24 Stunden ist es her, seit der Briefträger wieder einmal einen Packen Kündigungsschreiben in die Briefkästen der Haßleber Neubaublocks gesteckt hat. Nur einen Steinwurf entfernt steht der Uckermärkische Schweinemast- und Zuchtbetrieb, der Ende Juni geschlossen werden soll. Auch die 24jährige Gabriele Tiefs zählt, wie weitere 500 Mäster, zu den Entlassenen. Seit 1983 ist die gelernte Zootechnikerin in der Anlage beschäftigt. Da ihr Babyjahr noch bis zum September dauert, hat sie den Rauswurf nicht akzeptiert. Wie es weitergehen soll, weiß sie nicht. „Ganz Haßleben liegt ja auf der Straße“.

Nun bemüht sich die brandenburgische Landesregierung, die Auslaufphase zu verlängern — eine Hoffnung, die in einem ausschließlich von der Landwirtschaft geprägten Gebiet allerdings wie eine Selbsttäuschung erscheinen muß.

Das Aus für die Ückermärkische Schweinemast ist kein Einzelfall. Die Großanlagen der Tierproduktion sind ein wesentlicher Punkt der Kritik an der Landwirtschaftspolitik der ehemaligen DDR. Ökonomen, Ökologen und Tierschützer meldeten gleichermaßen Protest gegen die in sozialistischen Zeiten allzu gern als Beweis für die ökonomische Tüchtigkeit präsentierten Mastbetriebe an. Hohe Tierkonzentrationen, ökologische Belastungen, häufig potenziert durch unsachgemäße Bewirtschaftung, gesundheitliche Beeinträchtigungen der Tierpfleger und nicht zuletzt mangelhafter Tierschutz brachte die Produktion in Mißkredit. Viele Betriebe liegen schon unter dem Hammer, andere suchen händeringend nach einem Käufer, der sie davor bewahrt, das zu verschleudern, was sie noch haben, oder den Offenbarungseid zu leisten.

Auch die fünf überdimensionierten Flaggschiffe der einstigen DDR- Fleischerzeugung haben ökonomisch wie moralisch keine Chance mehr. Die Anlagen in Haßleben, Eberswalde, Nordhausen, Borna und Neustadt/Orna werden abgewickelt, so Hans-Jürgen Rohr, Treuhand-Bevollmächtigter für das Sondervermögen der Land- und Forstwirtschaft. Kaufwillige gäbe es zwar, doch könne man die Riesenanlagen bestenfalls in mehrere Schweinezuchtbetriebe aufgesplittet weiterführen. 150.000 Mastplätze auf einem Fleck wie in Eberswalde, werde es mit Sicherheit nicht mehr geben.

Aber auch von den kleineren Tierproduktionsanlagen, für die es westdeutsche und ausländische Interessenten gibt, sind bislang jedoch nur wenige verkauft. Die Betriebe müssen mit Grund und Boden versehen sein, die Eigentumsverhältnisse waren bis vor kurzem unklar. Hinzu kommt das Treuhand-Prinzip, bei der Privatisierung der Landwirtschaft möglichst heimische Partner zu beteiligen. Kriterium für den Zuschlag, so Rohr, sei nicht nur die Höhe des Gebots, auch eine vernünftige Größe, Umweltverträglichkeit und Tierschutznormen fielen entscheidend ins Gewicht.

In Brandenburg wirtschaften derzeit alle Landwirtschaftsbetriebe defizitär, sagt der für Tierhaltung zuständige Referent im Landwirtschaftsministerium, Heinz Lange. In allen großen Betrieben würden darüber hinaus Umweltverträglichkeitsprüfungen angesetzt. Daraus resultierende Umweltauflagen müssen erfüllt werden, Ausnahmen werden nicht gemacht — was die ökonomische Lage der Anlagen noch verschlechtern dürfte. So sind beispielsweise für 180 Tage Güllelagerkapazitäten und der Größe des Tierbestands entsprechende Dungflächen nachzuweisen, über die die Betriebe allerdings meist nicht verfügen. Der rigerose Abbau von Arbeitskräften und Tieren scheint der einzige Ausweg aus der Krise; nach Einschätzung der Experten haben höchstenfalls Schweinebetriebe mit einer stark reduzierten Produktion eine Überlebenschance.

Nicht aber der Ückermärkische Schweinemast- und Zuchtbetrieb, der aus ökologischen Gründen geschlossen wird, wie aus dem Ministerium verlautet. Konkrete Daten über Umweltbelastung und Gesundheitsbeeinträchtigung sind nicht zu bekommen. Doch was sich im Potsdamer Institut für Biotechnologie erfahren läßt, spricht eigentlich für sich. In den 80er Jahren wurden in Haßleben vier Mastanlagen gebaut, in denen jährlich jeweils 6.250 Tonnen Schweinefleisch produziert wurden, das vornehmlich für die Versorgung Berlins gedacht war. Bei den 200.000 Schweinen fielen täglich 300.000 Liter Gülle an, der darin enthaltene Stickstoff summierte sich im Jahr auf 2.600 Tonnen. Da klar war, daß derartig große Mengen unmöglich über die Böden verwertet werden können, baute man eine Kläranlage. Mitte 1990 wurde der Tierbestand auf 120.000 reduziert. Selbst dann waren die Probleme nicht gelöst: Es fielen noch immer 1.200 Tonnen Stickstoff auf 4.000 Hektar Land an. Potenziert durch den ungünstigen Standort, mußte wegen Überdüngung die Hälfte der Fläche für die Gülleausbringung gesperrt werden; mit der Stickstoffakkumulation im Boden ging eine Nitratanreicherung des Grundwassers einher — nach Expertenmeinung eine tickende Langzeitbombe.

Doch schon allein die unmittelbare Dorfnähe hätte nach dem Immissionsschutzgesetz gereicht, die Anlage zu schließen. Jetzt soll ein Gewerbegebiet im Dorf angesiedelt werden, aber Genaueres weiß niemand. Alle hoffen nur, daß das Gerücht bald Realität wird. Denn andernfalls, befürchtet Gabriele Tiefs Nachbar Harry Nowack, „werden hier bald nur noch Rentner wohnen“.

Nicht viel anders ist es im benachbarten Prignitz. Hier macht die Tierzucht Groß-Langerwisch dicht, die der Marktregulierung zum Opfer fiel. In den 70er Jahren ließ es sich der DDR-Staat 18 Mio. Mark kosten, dort Kapazitäten für 50.000 Mutterschafe samt einer Aufzuchtstation zur Einkreuzung sowjetischer Merino-Schafen zu schaffen. Die DDR-Schafzucht erzielte den Löwenanteil ihrer Erlöse aus der Wollproduktion, die durch staatliche Subventionen überdurchschnittlich gefördert wurde. 3,5 Kilo reine Wolle erreichten die Groß-Langerwischer 1989 je Mutterschaf. Für ein Kilogramm reiner Merinowolle gab es 100 Mark, inzwischen sank der Preis auf 1,20 DM. Dieses Handgeld deckt nicht mal mehr für den Lohn des Scherers. Schafhaltung lohnt sich jetzt nur noch, wenn Lammfleisch hoher Qualität erzeugt wird. So wurde die Anlage bereits Ende 1990 weitgehend geräumt; die Schafe wurden meist als Schlachtgut für einen Spottpreis von 35 DM pro Stück abgegeben. 500 Schafe sollen künftig noch in den Ställen stehen — zur Mastlammproduktion. Hier sehen die Schafzüchter ihre Chance, denn die Nachfrage nach Lammfleisch in den alten Bundesländern ist groß. Lediglich ein Dutzend von einst 60 Schäfern ist noch beschäftigt, der Rest wurde auf Kurzarbeit Null gesetzt. Nach längeren Verhandlungen hat nun ein West-Unternehmer die Anlage gekauft, der dort bis Ende 1992 eine Poduktion für Wärme- und Schalldämmstoffe aufziehen will. Das ganze Dorf atmete auf. Der Firmenbesitzer dürfte ebenso glücklich sein: Er soll, wohl wissend um die Not der Gemeinde, um jede Mark gepokert und die Anlage für ein Handgeld eingestrichen haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen