piwik no script img

Grenzsoldaten angeklagt

■ Erste Anklagen gegen Ex-DDR-Grenzsoldaten wegen Todesschüsse/ Vier Soldaten bereits festgenommen

Berlin. Die Todesschüsse an der Berliner Mauer haben die Berliner Staatsanwaltschaft dazu veranlaßt, erstmalig gegen vier ehemalige DDR-Grenzsoldaten Anklage zu erheben. Die Berliner Justizsprecherin Jutta Burghart sagte am Sonnabend nachmittag, daß die vier Soldaten festgenommen und gegen sie ein Haftbefehl erlassen worden sei.

Die Anklage beziehe sich auf den letzten Todesfall an der Berliner Mauer in der Nacht zum 6. Februar 1989. Dabei war der 20jährige Kellner Chris Geoffroy an einem Grenzzaun im Ostberliner Bezirk Treptow durch einen Schuß ins Herz getötet worden. Der gleichaltrige Christian Gaudian, der mit Geoffroy flüchten wollte, wurde am Fuß getroffen.

Nach Angaben von Frau Burghart sind die vier Grenzsoldaten — zwei 27jährige, ein 26jähriger und ein 25jähriger — dringend des gemeinschaftlichen Totschlags und des gemeinschaftlichen versuchten Totschlags verdächtig.

Nach einem Bericht des 'Tagesspiegels‘ ist der tödliche Schuß auf Geoffroy aus der Maschinenpistole des 25jährigen Grenzsoldaten abgefeuert worden. Nach einem Befehl seines Mitangeklagten habe er mit einer Kalaschnikow gezielt auf die beiden Flüchtlinge gefeuert, ermittelte die Staatsanwaltschaft. Die beiden anderen Angeklagten sollen zuvor von einem anderen Posten auf Geoffroy und Gaudian geschossen haben. Unmittelbar nach den Schüssen seien die Grenzsoldaten von Vorgesetzten zu einem Umtrunk eingeladen und später noch mit Sonderurlaub, Ordensverleihung und Geldprämien von jeweils 150 Mark belohnt worden sein. Schriftliche Unterlagen seien später allerdings vernichtet worden.

Gaudian sei im Mai 1989 vom Stadtbezirksgericht zu drei Jahren Haft wegen »versuchten ungesetzlichen Grenzübertrittes in einem schweren Fall« verurteilt worden.

Nach Angaben von Frau Burghart sind derzeit der Staatsanwaltschaft 38 Namen von Grenzsoldaten bekannt, die an Todesschüssen an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze beteiligt gewesen sein sollen. Nicht alle seien aber bereits identifiziert. Es liefen weitere Ermittlungsverfahren, von denen sich aber nicht sagen ließe, wann sie abgeschlossen seien.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Todesschüsse an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze auch gegen Mitglieder der ehemaligen DDR- Führungsspitze. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht Tiergarten bereits Haftbefehle gegen den ehemaligen Staats- und Parteichef Erich Honecker, Stasi-Chef Erich Mielke, den früheren DDR- Ministerpräsidenten Willi Stoph und Ex-DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler erlassen. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen