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Die Rekordflut ertrank im Regen

■ Bei den ersten Gesamtberliner Meisterschaften der LeichtathletInnen trübte das schlechte Wetter die glänzende Ausgangsposition des dank der Ex-DDR-Zugänge wiedererstarkten Berliner Landesverbandes

Hohenschönhausen. »Haltet unsere LeichtathletInnen!« hatte Manfred von Richthofen, Präsident des Landessportbundes, vor Jahresfrist gefleht. Nicht, daß der leibhaftige Enkel des Fliegerbarons die leichten AthletInnen von ihrem Höhenflug zu neuen Rekorden zurückholen wollte. Nein, MvR fürchtete um die Früchte des DDR-Sports, so paradox dies klingen mag. Denn während die Westberliner auf engagierten Bundesjugendspielen ihre Kreismeister kürten, kämpft im Ostteil der Stadt die DDR-Weltspitze um kommunalen Meisterlorbeer.

Immerhin förderten die dortigen Eliteclubs Dynamo (heute: SC) sowie TSC mehr olympisches Gold zutage, als der überaus erfolgreiche Rest der DDR insgesamt. Das wußten auch die reichen Vereinsmeier aus Leverkusen, Köln oder Mainz und wollten die Edelmetallarbeiter gleich in Divisionsstärke an ihre Fleischtöpfe locken. Viele blieben dennoch an der Spree, wenngleich sie ihre Spikesschuhe für Puma- oder Adidas-Filialen der Weststadt, pardon: SC Charlottenburg und OSC, in die Tartanbahn pressen.

Doch Hohenschönhausen 1991 versprach erstmals wieder einen Gesamtberliner Top-Act, einige gelobten sogar, die Veranstaltung als Aufgalopp für die anstehenden Welttitelkämpfe in Japan zu benutzen. Aber der Startschuß in eine vereinte Zukunft der Berliner Leichtathletik glich einem kapitalen Fehlstart. Pünktlich um 14 Uhr öffnete Petrus die himmlische Regenrinne. Zu allem Überfluß versagte beim ersten Lauf des 100-Meter-Hürdensprints der Frauen die elektronische Zeitmessung, so daß die Ergebnisse annulliert werden mußten.

»So, dann hole ich mir erst mal eine Bratwurst«, zog es Joachim Günther, Präsident des Berliner Leichtathletik-Verbandes, auf die Nebenschauplätze des Geschehens. Auch Dietmar Koszewski (LAC Halensee), der sonst über 110 Meter jeder Hürde nimmt, mußte sich branchenfremd bei Laune halten. Genervt paffte er eine Zigarette und seine Zivilkleidung voll, obwohl er froh sein konnte, bloß für die Staffel gemeldet zu haben.

Die Stimmung im Sportforum war StarterInnen, Funktionären und Publikum (es gab keine überdachte Tribüne) gleichermaßen verhagelt. Die kühle Flüssigkeit von oben drückte das erhoffte Rekord-Fieber gründlich nach unten. Und dennoch deuteten zwei Promis an, zu welchen Taten Berlins LeichtathletInnen bei besseren äußeren Bedingungen fähig gewesen wären: Detlev Michel (OSC), in den achtziger Jahren beim TSC einer der weltbesten Speerwerfer, distanzierte sich exakt 72,08 Meter von seinem Lieblingsspielzeug — sofort im ersten Versuch, denn danach ging bei böigen Regenschauern nichts mehr. Wenige Minuten später ließ Petra Hassinger vom LAC Halensee über 100 Meter Hürden mit 13,49 Sekunden eine wasserdichte Leistung folgen.

Ansonsten übernahmen zeitweilig die Ordnungskräfte die alleinige Regie in Hohenschönhausen: Sie walzten die Wassermassen vom Hochsprunganlauf, trockneten hingebungsvoll den Kugelstoßring oder sperrten rigoros die Anlaufspur des Dreisprungs, wo auf klitschigem Tartan nichts mehr ging. Hohenschönhausen im Regen — der leichtathletische Neustart ging baden, jammerschade! Jürgen Schulz

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