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Ein Entwurf wird perfektioniert

■ Verfassungsrechtler, Politiker, Gewerkschafter, Kirchenvertreter, Umweltschützer und Bürgerbewegte diskutierten zwei Tage lang am historischen Ort, der Frankfurter Paulskirche, über Einzelfragen...

Ein Entwurf wird perfektioniert Verfassungsrechtler, Politiker, Gewerkschafter, Kirchenvertreter, Umweltschützer und Bürgerbewegte diskutierten zwei Tage lang am historischen Ort, der Frankfurter Paulskirche, über Einzelfragen einer möglichen neuen deutschen Verfassung.

Als Ort für einen Verfassungskongreß ist die Paulskirche in Frankfurt ein zwiespältiges Symbol. Sie steht für den Versuch der ersten republikanisch-demokratischen Verfassungsgebung in Deutschland nach der Revolution 1848 — und für sein klägliches Scheitern. Das Ende dieses demokratischen Höhenflugs signalisierte damals der preußische König, dem die Paulskirchendelegation die deutsche Kaiserkrone und zugleich die Annahme der Verfassung anzudienen suchte: „Man nimmt nur an und schlägt nur aus eine Sache, die geboten werden kann — und ihr da habt gar nichts zu bieten“, lautete seinerzeit der königliche Bescheid.

Das Zitat dürfte einigen auch heute noch ganz passend erscheinen. Die zum Verfassungskongreß geladenen Spitzen der deutschen Bundes- und Landespolitik, der Koalitionsparteien, des Rechts- und des Innenausschusses jedenfalls, sie alle waren am Wochenende nicht gekommen. Auch Rupert Scholz, designierter Vorsitzender des Verfassungsausschusses, der demnächst ein paar unumgängliche Korrekturen am Grundgesetz vorbereiten soll, mußte seine Zusage für die Podiumsdiskussion in letzter Minute stornieren. Gekommen waren Heide Pfarr, Herta Däubler-Gmelin, Antje Vollmer und Hildegard Hamm-Brüher. — Das zentrale Dilemma des „Kuratoriums für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder“ war dennoch in der Paulskirche von Beginn an gegenwärtig: Die zirka 500 Freunde einer Verfassungsreform blieben unter sich. Die etablierte bundesdeutsche Politik reagiert auf die Forderung nach einer Verfassungsdebatte und den vorgelegten Entwurf mit Diskussionsverweigerung.

Den Weg „vom Grundgesetz zur deutschen Verfassung“, den das Motto des Kongresses anmahnte, hält sie für überflüssig. Fritz Pleitgen, als Moderator der Podiumsdiskussion, simulierte die Kontroverse, die real nicht stattfand. Ein wenig selbstironisch-trotzig klang es denn auch, als die Versammlung zur Eröffnung die „neue Hymne des Bundes deutscher Länder“ — Brechts Kinderhymne — anstimmte.

„Wir Deutschen sind dabei, uns als politisches Gemeinwesen nach innen wie nach außen neu zu konstituieren“, versucht der Bremer Staatsrechtler und Mitautor des Verfassungsentwurfs, Ulrich K. Preuss, die Ignoranz der Reformgegner mit der Macht des Faktischen zu kontern. In seinem Eröffnungsreferat nennt er die drei zentralen Veränderungen, aus denen die Notwendigkeit einer gesamtdeutschen Verfassungsdiskussion hervorgeht: die deutsche Vereinigung, die veränderte Rolle Deutschlands gegenüber den anderen Nationen sowie das wissenschaftlich-technische Risikopotential und die ökologische Frage, durch die die Bundesrepublik „ohnehin zu einem weiteren politischen Modernisierungsschub genötigt worden“ wäre. „Das Grundgesetz“, modifiziert Preuss die Abwehrformel der Konservativen, „hat sich bewährt — für den unpolitischen Wirtschaftsstaat“; jetzt aber sei die „gesellschaftliche Selbstwahrnehmung“ in einer von Grund auf veränderten Realität, die bewußte Neudefinition des vereinten Deutschland notwendig. Und nichts spricht für die Variante des naturwüchsigen Anpassungsprozesses. Denn, so Preuss, „kein Staat ist gefährlicher als der, der seine Interessen nicht kennt.“

Nicht alle sind mit dem vorgelegten Entwurf einverstanden. „War es wirklich die einzig mögliche Form“, fragt Gerd Poppe, Kuratoriumsgründer und Bundestagsabgeordneter, „als den Entwurf in das Korsett des Grundgesetzes zu zwängen?“ Anders als der Verfassungstext des Runden Tisches hält sich der vorgelegte Text streng an die Systematik des Grundgesetzes. Ein Großteil wird übernommen. Ganz offensichtlich haben sich die Autoren zu diesem Konzept entschlossen, um die allfälligen West-Befürchtungen vor der „anderen Republik“ ein Stück weit zu entkräften. Auch reflektieren sie mit dieser moderateren Variante, die vielen auch inhaltlich nicht weit genug geht, daß die Chance einer Verfassungsreform mit dem zeitlichen Abstand zu Revolution und Einheit kontinuierlich abnimmt.

Dennoch, auch wenn Preuss den polemisch gemeinten Vorwurf einer „Linksverschiebung“ auf dem Wege der Verfassungsreform nicht gelten lassen will, eine gravierende Veränderung der politischen Kultur im neuen Deutschland ist intendiert. Man wolle „keine andere Demokratie, sondern mehr Demokratie und weniger Obrigkeit“, zeichnet der Staatsrechtler Jürgen Seifert die Perspektive. Die Zeiten eines „autoritativen Dezisionismus, in welchem Gewande auch immer“, müßten beendet werden.

Als verfassungsrechtliches Kernstück, um diese Forderung zu realisieren, bietet der Entwurf den Volksentscheid, die Korrektur der repräsentativen durch direkte Demokratie. Doch das Repräsentationsprinzip soll nicht ausgehöhlt, sondern seinerseits gestärkt werden. Gegen die „Übermacht der Exekutive“ markiert der Verfassungsentwurf eine deutliche Aufwertung des Parlamentes und des einzelnen Abgeordneten. Rechte und Funktion der Opposition werden ausdrücklich aufgenommen. Dem Parteimonopol, an dem Hildegard Hamm-Brücher die „Deformation und Verwilderung ganzer Passagen des Grundgesetzes“ erkennt, soll die Förderung von Vereinigungen und Bürgerbewegungen gegenübergestellt werden.

An der ökologischen Herausforderung, die 1949 nicht im Horizont der „Verfassungsväter“ lag, erscheint die Forderung nach Weiterentwicklung des Grundgesetzes evident. Das Kuratorium gibt sich jedoch nicht mit dem mittlerweile allseits konsensfähigen Staatsziel Umweltschutz zufrieden; außer weitreichenden Informationsrechten, Verbandsklage, Volksbegehren und -entscheid soll ein „Ökologischer Rat“, als dritte Kammer neben Bundestag und Bundesrat, institutionalisiert werden. Von ihm beanstandete Gesetze müssen erneut verhandelt werden. Zwar kann der Ökologische Rat das Entscheidungsrecht des Bundestages letztlich nicht beeinträchtigen; doch „alles, was schnelle Entscheidungen stört“, so Antje Vollmers Plädoyer, „ist demokratisch“.

Die Wirklichkeitsdefizite des Grundgesetzes aufzuzeigen und „integrierte Problemlösungen“ (Preuss) anzubieten, damit haben die Versammelten wenig Schwierigkeiten. Die „Schwierigekit der Debatte liegt darin, daß sie überhaupt in Gang kommt“, markiert Antje Vollmer das Problem, auf das die aufmunternde Forderung nach einer „breiten, gesellschaftlichen Diskussion“ immer wieder verweist.

Die Perfektionierung des Entwurfs in den Arbeitsgruppen wurde auch in Frankfurt fortgesetzt. Doch vor der Aufgabe, ihn in die politische und gesellschaftliche Debatte zu bringen, blieb der dritte Verfassungskongreß nach Weimar und Potsdam ratlos. „Es gibt bei der Bevölkerung nicht den Leidensdruck am Grundgesetz“, so Antje Vollmers Vermutung. Der Entschlossenheit der christlich-liberalen Regierungskoalition, das Grundgesetz mit einigen Korrekturen in die Zukunft zu retten, kommt dieses Defizit gelegen. Schlechte Aussichten für das Gutgemeinte aus der Paulskirche. Mathias Geis, Frankfurt

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