: Nur die Milch fährt Bus Verkehrsstreik unbefristet
■ 10.000 Beschäftigte des Nah-, Berufs- und Güterfernverkehrs fordern in Sachsen Manteltarif- und Tarifvertrag/ Schmerzensgrenze ist erreicht
Dresden. Nahtlos ging der am Montag morgen begonnene Warnstreik von 10.000 Beschäftigten privater Kraftverkehrsbetriebe in einen unbefristeten Streik über. In den Depots bleiben mehr als 3.000 Busse und Lastkraftwagen stehen. Nur die Milch wurde ausgefahren. Bei den Transportunternehmen liegen bereits mehere tausend Tonnen Güter fest.
Rund 93 Prozent der Gewerkschaftler Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr hatten sich am Dienstag bei einer Urabstimmung für die Durchsetzung ihrer Forderungen in einem Arbeitskampf ausgesprochen. ÖTV-Sekretär Zarncke bestätigte, daß die Streikenden jederzeit zu Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband bereit sind. Allerdings lehnen sie es ab, sich auf einen Verhandlungstermin ohne ein konkretes Angebot vertrösten zu lassen. Die „Hartnäckigkeit der sächsischen Arbeitgeber“ habe den Streik auf die Tagesordnung gesetzt. Ein LKW- Fahrer verdient derzeit mit allen Zuschlägen in der Regel nicht mehr als 1.200 DM. Selbst bei Kündigungsfristen stellten sich die Arbeitgeber bisher stur, erklärte der Gewerkschaftssekretär. Die Angebote blieben sogar hinter den Fristen des Bürgerlichen Gesetzbuches zurück. Die Beschäftigten des Nah-, Berufs- und Güterfernverkehrs verlangen einen ausgewogenen Manteltarif- und Tarifvertrag, wie er in Thüringen und Sachsen-Anhalt bereits besteht. Zu den Forderungen gehört eine auf fünf Tage verteilte 40-Stunden-Woche und 26 Tage Urlaub. Der Durchschnittslohn soll auf 1.600 bis 1.700 DM steigen.
Die Bevölkerung habe in den ersten beiden Tage „eher positiv“ reagiert und viel Verständnis für die Forderungen der KraftverkehrsmitarbeiterInnen gezeigt. Der landesweite Streik hat besonders Auswirkungen auf den Berufs-, den Überland- sowie den Güterverkehr. Um die Versorgung von Krankenhäusern mit Milch und Lebensmitteln zu sichern, wurden Notdienstvereinbarungen abgeschlossen. Auch Fahrten für Behinderte und Schulbuslinien sind vom Streik ausgenommen.
Im Regierungsbezirk Chemnitz streikten über 3.000 Beschäftigte in nahezu 50 Kraftverkehrsbetrieben. Die Gewerkschaft ÖTV fordert, so Klaus Böhm, Geschäftsführer der Chemnitzer Kreisgeschäftsstelle, daß der Landesverband des Sächsischen Verkehrsgewerbes als Tarifpartner „endlich ein abschlußfähiges Angebot auf den Tisch legt“. Seitens der Unternehmer war zunächst nur Verhandlungsbereitschaft signalisiert worden. Als Gesprächstermine hatten sie Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag angeboten. Laut einem Schreiben des Landesverbandes an die ÖTV sollten die Verhandlungen zum Manteltarifvertrag für Angestellte und zum Gehaltstarifvertrag von den Gesamtverhandlungen abgekoppelt und diese „in einem gesonderten Spitzengespräch“ erörtert werden. Böhm bezeichnet dies als Versuch der Verunsicherung der Arbeitnehmer. Die Gewerkschaft lehne das ab. „Die Arbeitnehmer lassen sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen.“
Streikstimmung herrschte am Morgen in den beiden Mittweidaer Verkehrsbetrieben Regiobus und Güterverkehrsgesellschaft mbH. Nach Worten von Streikleiter Gert Sczepanski wollen die 500 Kollegen so lange streiken, bis ein vernünftiges Unternehmerangebot auf dem Tisch liegt.
„Die Schmerzensgrenze ist erreicht“, war die Meinung von ÖTV- Mitgliedern aus Annaberg. In der Erzgebirgsregion sind nach Mitteilung der Streikkoordinatoren 1.600 Beschäftigte im Ausstand. Auch hier sind die Kollegen entschlossen, den Streik bis zum Erfolg fortzusetzen.
Unterdessen machten Unternehmer auf Wettbewerbsfolgen aufmerksam. Der Geschäftsführer der Dresdner Kraftverkehrs GmbH, Karl-Heinz Nagel, meinte, private Einzelunternehmer hätten bestimmte Transporte der ehemaligen volkseigenen Kraftverkehrskombinate übernommen. Das habe „zu Vertragskündigungen seitens der Auftraggeber geführt und gefährde Arbeitsplätze“. Detlef Krell
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