: Die einzige Metropole
■ Gegen das Versteckspiel in der Provinz
In der Hauptstadtdebatte wird viel über die Signale gesprochen, die man dem Ausland setzen will. Die deutsche Großmacht darf nicht zu vorsichtig sein mit ihrer neuen Position, sonst werden die Nachbarn unruhig. So heißt es dann, daß eine Fortsetzung rheinischer Bescheidenheit stehe für „same procedure as the last forty years“ — zurückhaltend, bereitwillig nach Westen gerichtet und kleinmächtig. Dagegen ist Berlin der große Moloch im entfernten Osten mit der berüchtigten Geschichte — die verseuchte Weltstadt als Zentrum einer Weltmacht.
Aber was denkt man im Ausland wirklich dazu? Erstens: Es interessieren sich nur die wenigsten für die Debatte. In Großbritanien hat man eher Sorgen um den Ausbau der Macht Brüssels als um eine Wiedererstehung des Reiches an den Spree-Ufern. Zweitens: Aus der Distanz empfindet man die Symbolik der Debatte ganz anders. Berlin ist nicht nur ein Symbol für Wilhelminischen Militarismus und braune Diktatur, sondern auch für die goldenen Zwanziger, für Nachkriegsüberlebenskraft und Toleranz. Das heißt, Berlin wird heute eher positiv betrachtet. Dagegen erweckt Bonn nur Gleichgültigkeit — die unbekannte Leitstelle der größten Macht Europas: Wo liegt sie denn? Es ist fast eine Frage für ein Trivial Pursuit-Spiel.
Großbritanien gehört zu den Ländern, die keinen Föderalismus kennen, und deswegen findet man es unbegreiflich, daß die Deutschen sich mit der Hauptstadtfrage schwer tun. Auf der Insel glaubt man fest daran, daß eine Hauptstadt groß und repräsentativ sein soll, wo sich Politik, Wirtschaft und Kultur treffen und vermischen. Als einzige Weltstadt Deutschlands ist nur Berlin für diese Rolle geeignet. Mit der Vergangenheit, so meint man an der Themse, muß man zurechtkommen. Damit ist nicht gemeint, man solle die Vergangenheit begraben, vielmehr man muß sich an Ort und Stelle mit ihr konfrontieren. Sich in der Provinz zu verstecken, ist eher ein Zeichen dafür, daß man das nicht kann, und daß es noch Gründe gibt, das neue Deutschland zu fürchten.
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