: Den Funktionären geht's an den Kragen
■ Die unabhängige Doping-Kommission von Sozialrichter Reiter legte am Mittwoch den Doping-Bericht vor: Generalamnestie für Sportler, Bestrafung der verantwortlichen Trainer, Funktionäre, Ärzte
Bonn (dpa/taz) — Der Stein des Doping-Weisen ist immer noch nicht gefunden — doch der Bericht der unabhängigen Doping-Kommission zeigt Wege aus der Gefahr, zumindest zwischen den Zeilen. Wenn dort zum Beispiel festgestellt wird, daß die Verantwortlichen im (west-)deutschen Sport spätestens seit 1976 Vermutungen und auch Kenntnisse vom Anabolika-Mißbrauch im deutschen Leistungssport hatten. Und es wohlwollend duldeten: Trotz energischen Forderungen sei es, so Reiter, immer nur bei „Alibivorgehen“ geblieben.
Skurillerweise sind jedoch jene Funktionäre von einst identisch mit eben jenen, denen Reiter seine Untersuchung am Mittwoch präsentierte: Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Hans Hansen, Präsident des Deutschen Sport-Bundes und damals Vize, sowie viele altgediente Verbandspräsidenten.
So müßten sich die obersten Sportbosse eigentlich selbst entlassen, würden sie die Reiter-Ergebnisse beherzigen. Der nämlich forderte zwar als Voraussetzung eines ehrlichen Neubeginns eine Generalamnestie für Sportler ab einem festzulegenden Stichtag, der nicht vor dem 01.01. 91 liegen soll. Funktionäre, Trainer, Ärzte und sonstige Beteiligte jedoch gelten als voll verantwortlich — und straffähig. Bei ihnen soll höchstens im Einzelfall geprüft werden, ob sie die Chance zur Wiederbeschäftigung im Sport bekommen können.
Darf demnach Daume, selber harschen Vorwürfen seitens einzelner Sportler ausgesetzt, bleiben? Sind Männer wie der DLV-Präsident Helmut Meyer, dessen Verband stark unter Dopingverdacht steht, noch tragbar? Die hohen Herren zumindest scheinen nicht daran zu zweifeln. So freute sich Willi Daume, der nach den Veröffentlichungen über deutsches Doping die Studie in Auftrag gegeben hatte, über den „guten Tag für den deutschen Sport, er muß den Bericht sicherlich sehr ernst nehmen“.
Noch beherrschen Floskeln die Reaktionen, doch werden Konsequenzen erwartet: Reiter rechnet mit baldigen Rücktritten: „Ich gehe von einer dreistelligen Zahl aus, hauptsächlich im Bereich der Beitrittsländer.“ Fragen nach der Zukunft westdeutscher Doping-Täter wich Reiter aus: „Exakte Angaben können wir nicht machen und deshalb auch keine konkreten Rücktrittsforderungen stellen. Auch Innenminister Wolfgang Schäuble, der die 100.000 Mark teuere Studie bezahlte, merkt: „Jetzt wird eine Menge Arbeit auf den Sport zukommen.“
Die siebenköpfige Kommission (neben Reiter noch die Professoren Hans Erhard Bock, Helmut Kirchgäßner, Hans Kuno Kley, Christiane Stang-Voss, George Turner und der Aktivensprecher Volker Grabow) kam nach umfassenden Befragungen von Athleten, Trainern, Funktionären, Wissenschaftlern und Experten zu der Erkenntnis, daß Doping in den alten Bundesländern „vorrangig individuell oder in Kleinstgruppen organisiert“ war. In der Ex-DDR „war der Dopingmißbrauch systematisch und sportartspezifisch differenziert eingesetzt. Er war zentralistisch verordnet und kontrolliert sowie wissenschaftlich begründet. Durch Ausreisekontrollen wurde das Risiko auf internationale Wettkämpfe minimiert.“
Als wichtigste Handlungsvorschläge nennt Reiter dem Zufallsprinzip folgende Dopingkontrollen zu jedem vertretbaren Zeitpunkt und ohne Vorwarnmöglichkeit, wobei „auch die Kontrolleure kontrollierbar sein müssen“. Auch muß das Vergütungssystem der Trainer überprüft werden, da die Erfolgsprovision zum Doping verführt. Hauptamtliche Sportdirektoren sollen in Verbänden agieren, denen „als Dienstpflicht die Bekämpfung des Dopings zuzuweisen“ ist. Zudem muß dringend die soziale Betreuung der Spitzensportler verbessert werden.
Besonders wichtig sei jedoch, daß die nationalen Maßnahmen eine internationale Entsprechung finden. So wird ein Ausschluß von Ländern vor Olympischen Spielen oder internationalen Meisterschaften vorgeschlagen, falls festgelegte Dopingkontrollquoten nicht eingehalten werden. miß
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