Reine Proklamation

■ Die Rechtsverbindlichkeit fehlt im Binnenmarkt

Im Jahr 1985 hat die EG die Abschaffung der Binnengrenzen zum 1.Januar 1993 verkündet. Rechtsverbindlich geregelt hat sie allerdings bis heute nur Randbereiche. EG-Bürger dürfen beim Umzug persönlichen Hausrat und gebrauchte Wasser- und Luftfahrzeuge steuerfrei mitnehmen. Außerdem gilt Freizügigkeit auch für Studenten, Rentner und nichterwerbstätige Personen. Vorausgesetzt allerdings, sie erbringen den Nachweis, daß sie krankenversichert sind und sich selbst über Wasser halten können. Schließlich werden die Berufsabschlüsse gemeinschaftsweit anerkannt.

Bei Fragen der gemeinsamen Drogenpolitik, des Datenschutzes und der Bekämpfung von Bandenkriminalität sieht es allerdings düster aus. Da überläßt es die EG den Mitgliedsstaaten, selbst aktiv zu werden. Das Ergebnis: Die fünf reichen Länder BRD, Frankreich und die Benelux-Staaten haben einen Staatsvertrag vereinbart. Das sogenannte Schengener Abkommen hat nicht nur Lücken, es zwingt die übrigen EG-Länder auch, sich diesem Abkommen ohne Wenn und Aber anzuschließen, wollen sie ab 1.1.1993 auch offene Binnengrenzen haben. Dabei regelt das Abkommen nur Verfahrensfragen, nicht qualitative Maßstäbe. Zum Beispiel Datenschutz: Belgien hat kein Datenschutzgesetz, Luxemburg und die Niederlande nur ein eingeschränktes. Vor dem Aufbau eines SIS (Schengener Informationssystem) soll nun in allen Ländern ein Datenschutzgesetz existieren. Auf welchem Niveau, das obliegt den jeweiligen Nationalstaaten. Konsequenz: Ein belgischer Polizist gibt nach belgischem Recht Informationen an seinen deutschen Kollegen weiter, der diese wiederum an seinen französischen Kollegen weitergibt. Dafür kann der deutsche Polizist bestraft werden, wenn das schärfere deutsche Datenschutzgesetz solchen Informationsaustauch nicht zuläßt. Erst recht problematisch wird diese Politik für Drittstaatenangehörige. Sie dürfen bis zu drei Monate visafrei auf Urlaubsreise in die Nachbarländer gehen, wenn sie allerdings Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in einem Mitgliedsland besitzen, können sie dieses Recht nicht in den anderen Mitgliedsstaaten ausüben. Ein Türke, seit 25 Jahren in Deutschland ansässig und berufstätig, benötigt ein erneutes Aufnahmeverfahren in Belgien, während ein Ukrainer, der die deutsche Volkszugehörigkeit nachweist, die Freizügigkeit in allen Mitgliedsstaaten genießen kann.

Da kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Mauer von den Binnengrenzen zu den Außengrenzen verlegt wird und so der Binnenmarkt zu einer Wagenburg wird. Detlev Samland

Der Autor ist sozialdemokratischer Abgeordneter im Europaparlament.